WM 2022: „Die Fifa muss in Katar eingreifen“

Der Fußballweltverband hat sich blenden lassen: In Katar herrschen auf den Baustellen skandalöse Zustände.
Der Fußballweltverband hat sich blenden lassen: In Katar herrschen auf den Baustellen skandalöse Zustände.(c) EPA (QATAR 2022 WORLD CUP BID COMMITT)
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Nach Berichten über 44 tote Arbeiter und unwürdige Bedingungen auf den Baustellen fordern Gewerkschaften und Amnesty International den Weltfußballverband zum Handeln auf.

Wien. Die Fußballweltmeisterschaft 2022, vergeben an Katar, wird zu einem immer größer werdenden Problem. Der Gastgeber gerät nach einem Bericht des „Guardian“ über 44 tote Arbeiter schwer unter Druck. Die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbunds IGB, Sharan Burrow, nennt die Ausbeutung von Gastarbeitern im Vorfeld der WM-Endrunde „moderne Sklaverei“. Sie befürchtet letztlich tausende Todesfälle, wenn nichts passiert. „Wenn sich da nicht sofort etwas ändert, wird die WM mit 4000 toten Arbeitern bezahlt“, warnt die 58-jährige Australierin.

Die englische Tageszeitung „Guardian“ hat recherchiert, dass allein zwischen 4. Juni und 8. August 44 nepalesische Arbeiter in Katar gestorben sind. Bei Arbeitsunfällen oder durch Herzversagen. Sharan Burrow prangert daher an: „Die Arbeitsbedingungen sind unmenschlich.“ Die Generalsekretärin war schon mehrmals vor Ort, weiß daher, wovon sie spricht. „Die nepalesische Botschaft schätzt offiziell, dass jedes Jahr 200 nepalesische Migranten sterben. Die indische Botschaft schätzt die Opferzahl jährlich auf 200 Tote.“ Die Australierin geht allerdings von noch viel höheren Zahlen aus. „Wir sind der Ansicht, dass die wirkliche Todesrate weitaus höher ist.“

„Arbeiter haben keine Rechte“

Am gestrigen Freitag hat sich auch Amnesty International zu den skandalösen Zuständen im WM-Austragungsland zu Wort gemeldet. Die Menschenrechtsorganisation greift den Weltfußballverband offen an. „Katar hat mit die schlimmsten Arbeitsbedingungen weltweit. Wir erwarten, dass die Fifa eingreift!“, sagt Regina Spöttl, zuständig bei Amnesty International für die Golfstaaten, in der „Süddeutschen Zeitung“. Als Veranstalter dürfe sich die Fifa nicht aus der Verantwortung stehlen. „In erster Linie ist Katar zuständig für ein gutes Arbeitsrecht im Land. Aber es sind auch die Veranstalter, die für menschenwürdige Bedingungen Sorge tragen müssen. Die Fifa ist ein mächtiger Verband. Es würde ihr gut tun, entschlossen einzugreifen.“

Auf den Baustellen ist es unerträglich heiß, Wasser ist rar, die sengende Hitze verlangt den Arbeitern alles ab. Zu viel. Von „moderner Sklaverei“ zu sprechen, meint Amnesty, sei nicht übertrieben. „Katar gibt sich nach außen sehr reformwillig und modern. Aber die Arbeiter haben keine Rechte. Sie müssen zumeist ihre Reisepässe abgeben, Gewerkschaften sind verboten. Wer sich organisiert, der fliegt raus.“

IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow ruft Katar und den Weltfußballverband zum umgehenden Handeln auf. „Katar muss seine Gesetze reformieren. Firmen, die an den Bau- und Infrastrukturarbeiten in Katar beteiligt sind, müssen dafür sorgen, dass dies nicht auf Kosten von Menschenleben geschieht. Die Fifa sollte Druck auf die Regierung ausüben – und eine Weltmeisterschaft nie wieder in einem Land durchführen, in dem Arbeitsrechte und Menschenrechte derart verletzt werden.“

Auch vor der Weltmeisterschaft 2018 in Russland befürchtet Sharan Burrow, dass Arbeiterrechte mit Füßen getreten werden. „Dort besteht auch die Gefahr, dass die WM keine guten und fairen Arbeitsplätze schafft. Die Fifa setzt momentan die russische Regierung stark unter Druck, eine Gesetzesänderung zu verabschieden, durch die das unzumutbare Arbeitsrecht für Migranten in den nächsten fünf Jahren außer Kraft gesetzt werden soll.“

„Leider kein neues Phänomen“

Der „Guardian“-Bericht hat weltweit große Empörung ausgelöst. „Ein neues Phänomen ist die Ausbeutung und Misshandlung ausländischer Arbeiter aber leider nicht“, sagt Amnesty-Pressesprecher Ferdinand Muggenthaler. Die internationalen Gewerkschaften fordern bereits, dass neu abgestimmt wird, ob die WM in Katar stattfinden darf.

Auch die Internationale Spielergewerkschaft (FIFPro) meldete sich zu Wort. „Wenn die Berichte wahr sind, muss der Fußball reagieren. Es ist unentschuldbar, dass das Leben der Arbeiter geopfert wird, zumal es moderne Gesundheits- und Sicherheitspraktiken in der Baubranche gibt“, sagte FIFPro-Vorstandsmitglied Brendan Schwab. Zugleich forderte er die Fifa auf, mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Experten nach Katar zu schicken.

WM 2022

Skandal. Nach dem alarmierenden Bericht über die katastrophalen Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen in Katar werden Stimmen nach einem Boykott oder einer neuen WM-Vergabe lauter. Ein britischer Parlamentarier brachte einen WM-Verzicht von England ins Spiel, der Internationale Gewerkschaftsbund lancierte die Kampagne „www.rerunthevote.org“. Die Initiative zielt darauf ab, Druck auszuüben, einen neuen Veranstalter festzulegen, weil Arbeitnehmerrechte nicht respektiert werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2013)

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