Österreichische Verhältnisse sind schlimmer als italienische

Kleine Wahl, große Qual: Selbst wenn SPÖ und ÖVP ab Sonntag einen Krankenpfleger wie Grüne brauchen. Es wechseln wieder nur ein paar Köpfe.

Historisch ist diese Wahl vor allem aus einem Grund: Noch nie treten so viele Parteien an, die sicher oder knapp nicht im Nationalrat landen. Sozialpartner, Großkoalitionäre und ihre Funktionäre sind stolz darauf, dass in Österreich keine italienischen Verhältnissen herrschen. Zuletzt warnten sie davor. Immerhin treten da ein selbstbewusster Milliardär mit eigener und ein bescheidener Millionär mit gesponserter Partei an. Drei Rechtspopulisten kämpfen gegen die teuren, demokratiepolitisch schlecht legitimierten Euro-Rettungsaktionen und werden fast 30 Prozent der Stimmen erreichen. In Deutschland reichte ein Ergebnis mit knapp unter fünf Prozent für die Eurokritiker, und die Erschütterung in den Feuilletons war groß.

Aber wir bekommen keine italienischen Verhältnisse, sondern österreichische. Und die sind fast absurder und mühseliger: Selbst wenn in Österreich das einstige Vierfarbenspektrum um die Farben Gelb, Pink und/oder Orange erweitert würde, könnte eine Große Koalition weiterregieren. Oder eben eine Kleine Koalition aus SPÖ und ÖVP, die die Grünen als politische Krankenpfleger engagiert. Das alles haben sich SPÖ und ÖVP selbst zuzuschreiben: Vor wenigen Jahren wäre es möglich gewesen, ein Mehrheitswahlrecht einzuführen, das selbst mit eingebautem Kleinparteienschutz vor Stillstand bewahrt hätte.

Nun lässt sich lange philosophieren, ob und wie deutlich am Sonntag der Beweis erbracht wird, dass Sozialdemokraten im Wahlkampf sogar dann einig sind, wenn sie ihren Spitzenkandidaten nicht besonders lieben. Oder dass Bürgerliche sogar dann uneinig sind, wenn sie ihren Spitzenkandidaten nett finden. Oder dass die einen immer intern streiten, die anderen immer öffentlich intrigieren. In Deutschland gelang der CDU, wovon die ÖVP nur träumen kann: Rechts der Christdemokraten ist kein bis wenig Platz, die SPD muss sich nicht nur mit Grünen, sondern auch mit Linken abmühen. Österreichs Konservative hingegen werden von allen Seiten angeknabbert. Die SPÖ hat zwar wirtschaftspolitisch mit der FPÖ einen populistischen Konkurrenten bei bestimmten Wählern, und die Grünen verkörpern linkes Lebensgefühl besser als Werner Faymann und Josef Ostermayer, aber in ihrer Kernkompetenz, Arbeitsplätze und Sozialsystem zu verteidigen, hat die SPÖ keine Gegner zu fürchten.

Für einen Wechsel an der Spitze und wohl auch des Systems wäre eine echte Wendestimmung nötig. Die gibt es noch immer nicht, Proteststimmung trifft die Gefühlslage eher. Die Einschätzung, wie schlecht es Österreich gehe, wurde zur Frage des Wahlkampfs. Es gibt Antworten: Österreich geht es besser als anderen Euroländern. Aber: Österreich könnte es angesichts unserer (Human-)Ressourcen viel besser gehen. Vor allem: Es könnte unseren Kindern einmal schlechter gehen, wenn nicht die richtigen Entscheidungen getroffen werden.

Die SPÖ sagt klar, dass sie keine harten Entscheidungen in zentralen Bereichen wie bei den Pensionen treffen will. Der Schuldenabbau hat Nachrang gegenüber sozialen Maßnahmen und der Ankurbelung der Wirtschaft. Dafür sollen neue Steuern Steuersenkungen finanzieren. Das ist nicht der richtige Weg.

Die ÖVP sagt nicht klar, wie sie Steuern senken und den Bildungsbereich reformieren will. Sie tritt dafür ein, erst Geld nach Erreichen eines Nulldefizits auszugeben. Das ist definitiv ein besserer Weg. Allein: Die ÖVP hat seit dem Regierungseintritt 1986 immer wieder Steuern erhöht und Schulden gemacht. Das macht sie nicht sehr glaubwürdig. Die FPÖ, Stronach und BZÖ versprechen alles und vertreten, trotz berechtigter Kritik an der Euroschwemme, den falschen Anti-Europa-Kurs. Die Grünen wirken merkwürdig beliebig und sehen sich als Mischung aus Partyrechnungshof und freundlich-strenger Volksschullehrerin. Im Westen regieren sie konstruktiv, in Wien arrogant. Nicht so gut für Menschen, die private Entscheidungen gern selbst fällen. Die Neos haben ein gutes Programm und sind neu. Aber Hans-Peter Haselsteiners „friendly take over“ erinnert sehr an das Liberale Forum, dem es nur um die SPÖ-Ampelkoalition ging.

Keine leichte Wahl. Vielleicht entscheidet am Schluss nur eine einzige Überlegung: Wen oder was man an der Spitze verhindern will.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2013)

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Kommentare

Aller guten Dinge sind vier

Nein, wir sind nicht verdrossen. Ganz generell nicht und auch von der Politik nicht. Im Gegenteil.

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