Viennafair
Tüllstoff, Buntstifte, Räume und das All
Junge Künstler auf der Viennafair: Sie klauben im Internet, stolzieren auf High Heels und erforschen die Götzen der Spaßgesellschaft.

Das vorrangige Medium des Künstlerpaares Micha Payer und Martin Gabriel ist die Zeichnung. Ausgestattet mit Batterien von Buntstiften und Bleistiften machen sie sich im Duett über meist sehr großformatige Papierbögen her. In einer zwischen musterartiger Serialität und (Über-)Fülle flimmernden Bild- und Zeichensprache umkreisen und umschreiben sie intuitiv zivilisatorische Fragen des Daseins. Ihr Bilderreservoir rekrutiert sich dabei aus einer Unzahl gefundener und gespeicherter Bilder. „Wir beleuchten und analysieren kulturelle und komplexe Phänomene von einem psychologischen Standpunkt“, beschreiben sie ihren Ansatz. Bisweilen bleibt da kein Zentimeter unbearbeitet. Zur Zeit stecken sie in der Planung einer Serie großformatiger Zeichnungen, in der die Natur und ihr Gegenteil – Pflanzen etwa versus menschliche Ersatzstücke – mit maximaler Intensität aufeinanderprallen. Auf der Viennafair präsentieren sich Payer und Gabriel mit neuen Zeichnungen, die von der Beobachtung äußerer Ereignisse aus einem kühl-distanzierten Blick ausgehen: das Ritual der Rauchpause im Hof einer Versicherungsgesellschaft etwa oder Menschen auf einer Rolltreppe, die in der Zeichnung zur ornamenthaften Spirale angeordnet werden. Auf der Viennafair sind Micha Payer (geboren 1979 in Wolfsberg) und Martin Gabriel (geboren 1976 in Linz) am Stand ihrer Wiener Stammgalerie Christine König mit neuen Arbeiten vertreten (H12).
(c) Christine Pichler

Der Boulevard ist für Lilli Thießen seit jeher eine Fundgrube. Klaubte die gebürtige Hamburgerin mit portugiesischem Hintergrund die Versatzstücke, die sie auf ihre Leinwände aufbrachte, erst buchstäblich von der Straße auf, durchforstet sie für ihren neueren Arbeiten vor allem den Boulevard der schnellen Medien. Die Malerei ist dabei stets abstrakt, die Versatzstücke umso konkreter. „Am Anfang war dieses Vorgehen für mich eher der Ausgangspunkt. Nun wird es mehr und mehr zum Thema“, sagt sie. Eine große Rolle spielt dabei die Suchmaschine Google. Den Prozess beschreibt sie so: „Erst wird aleatorisch gegoogelt, dann drucke ich die Fundstücke aus und interveniere.“ Rausgefiltert werden dabei vielfach „die Götzen der Spaßgesellschaft“, Popstars etwa, die das Wunschdenken der kapitalistischen Gesellschaft repräsentieren, oder eine Lady Di, die sie zur Wahrsagerin transformiert. Vom klassischen Rechteck hat sich Lilli Thiessen längst verabschiedet, stattdessen lässt sie ihre Formate mit amorphen Silhouetten oder mehrgliedrigen Kompositionen aus der Reihe tanzen: „Ich integriere eine neue Bildsprache in die alte. Das Malerische interessiert mich dabei extrem, weil es so eine Weite hat.“ Werke von Lilli Thießen (geboren 1983 in Hamburg) sind auf der Viennafair in den Programmblöcken „Vienna Pop“ und „Vienna Express“ zu sehen (Stand H24 und D16). Außerdem bei der zeitgleich stattfindenden Alternativmesse „Parallel Vienna“ im k. k. Telegrafenamt.
(c) Christine Pichler

Er liebt Tüllstoff und Rüschen, wirft sich gern in Frauenkleider, trägt Miniröcke und legt hie und da Schminke auf. Seine Füße steckt Salvatore Viviano dafür gern in High Heels oder Plateauschuhe, seine Beine in Leggings oder Nylons. „Ich kann das, ich habe schöne Beine“, sagt er. In solchem Outfit zeigt der studierte Anthropologe zu Kunstzwecken schon auch mal seinen Allerwertesten, um diesen als Projektionsfläche für Videos zu offerieren. Der temperamentvolle Sizilianer mit dem Dreitagebart, den es vor drei Jahren auf dem Umweg einer mittlerweile ebenso legendären wie nachhaltigen Kooperation mit der Kunst-Boy-Gang Gelatin aus der Modemetropole Paris nach Wien gespült hat, ist ein Agent provocateur, der in seinen Performances und Installationen liebend gern mit weiblichen Accessoires operiert. Das zur Zeit modische Genderthema interessiert ihn dabei herzlich wenig. „Ich flirte in meiner Arbeit mit der Verführung“, sagt er. „Ich trage Frauenkleider, weil ich sie für sexy halte und für viel interessanter als Männermode. Und High Heels liebe ich sowieso, sie sind für mich Fetische.“
(c) Christine Pichler

Raum ist ein Schlüsselthema in Sonia Leimers Arbeiten. Bald taucht er objekthaft auf – etwa, indem ausgesonderte Asphaltplatten als Zitat des öffentlichen Raums in den Ausstellungsraum geholt und dort zu Sockeln umfunktioniert werden. Bald ist er Gegenstand von Fotoarbeiten und Videos. „Die Gedanken über den Raum sind immer dieselben“, sagt sie, egal, ob er im Medienbild wiederkehrt oder in der Dreidimensionalität. Schauplatz ihrer neuesten Arbeit „Lenin:Icebreaker“, die gerade an der Moskau-Biennale gezeigt wird, ist der erste Atomeisbrecher der Sowjets, der nun mehr als Museumsschiff vor Murmansk liegt. Im Video führt Leimer unterschiedliche Ebenen von Raum und Zeit ein und verquickt ihre Aufnahmen mit Originaldokumenten aus der Blütezeit der „Lenin“ sowie Archivbildern des ersten bemannten Raumfluges der Sowjets mit Juri Gagarin, der fast gleichzeitig stattfand. Der Weltraum ist auch Thema einer Fotoserie, die in einem Simulator der ESA in Holland entstanden ist. Das Resultat sind Bilder von faszinierender Tiefe, in denen winzige Raumspiegelungen das Schwarz des Alls unterbrechen. Der kleine Raum der Umgebung trifft darin auf die große Unendlichkeit des Alls. „Schnittstellen wie diese interessieren mich“, sagt sie. „Dabei geht es immer wieder um die Frage: Wo beginnt der Raum?“ Neue Arbeiten von Sonia Leimer (geboren 1977 in Meran) sind auf der Viennafair am Stand der Galerie Nächst St. Stephan zu sehen (Stand F 14).
(c) Christine Pichler