Jom-Kippur-Krieg als Trauma einer Nation

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Am 6. Oktober 1973, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, wurde Israel von einem Großangriff Ägyptens und Syriens überrascht. Für Israel markierte der Krieg das Ende der Illusion, unverletzbar zu sein.

Jerusalem. Als historisches Paradoxon gilt der Jom-Kippur-Krieg vor genau 40 Jahren, denn der militärische Sieg Israels ging einher mit hohen Verlusten und einer tiefen Krise des Landes. Das Versagen von Armee und Regierung, die die Angriffe nicht kommen gesehen hatten, ließen das Vertrauen in die Führung sinken. Es war das Ende der Illusion, unverletzbar zu sein.

Umgekehrt feierte man in Ägypten den Oktoberkrieg trotz der Niederlage auf dem Schlachtfeld als großen Erfolg. „Der Mythos von der militärischen Überlegenheit Israels ist erschüttert“, frohlockte damals der ägyptische Generalstabschef Saadeddin Schasli. „Der Suezkanal und die Sinai-Halbinsel sind zu einem großen Friedhof für den Gegner geworden.“

Erst wenige Jahre zuvor, im Sechstagekrieg 1967, waren die israelischen Soldaten wie im Spaziergang gegen die arabischen Truppen vorgestoßen, hatten die Altstadt Jerusalems erobert, den Gazastreifen und das Westjordanland besetzt. „Alle Armeen Europas sind schwächer als wir“, sprühte Ariel Scharon, damals Chef des Südkommandos vor Selbstvertrauen. „Wir können das Gebiet von Khartum bis Bagdad und Algerien in einer Woche erobern.“

Jom-Kippur-Krieg
Jom-Kippur-KriegDie Presse

Nur zu gern vertraute das Volk seinen Führern, auch als Verteidigungsminister Mosche Dayan noch kurz vor dem arabischen Überraschungsangriff am heiligen jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur seine Überzeugung kundtat, dass es auf dem Golan „in den nächsten zehn Jahren keinen Krieg geben wird“. Dayan verzichtete auf die Mobilmachung der Reservisten mit dem Ergebnis, dass die wenigen bereits an den Grenzen stationierten Bodentruppen zu Beginn der Offensive gegen eine zahlenmäßige Übermacht standhalten mussten.

Erschüttertes Selbstvertrauen

Das Versagen der Geheimdienste, die hohen Verluste auch bei der Luftwaffe, die auf die modernen Abwehrraketen an der syrischen Front nicht gefasst war, wirkten zermürbend auf das israelische Selbstvertrauen. Schon in den ersten Stunden der Gefechte gab es zahlreiche Tote und Kriegsgefangene.

Erst in diesen Tagen veröffentlichte die liberale „Haaretz“ Auszüge aus bis dahin geheim gehaltenen Dokumenten, die die Ermordung Dutzender israelischer Soldaten in ägyptischer Gefangenschaft belegen. „Sie hatten den Abgrund gesehen und die Welt war nicht mehr so wie zuvor“, schreibt Joas Hendel, Militärhistoriker und ehemals PR-Berater von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, in der Tageszeitung „Yediot Achronot“. „Der Krieg war auch ein existenzielles Erdbeben.“ Dass die israelischen Truppen am Ende der Gefechte schon kurz vor Kairo und Damaskus standen, änderte daran nichts.

Die Armee wurde vergrößert

Der tiefe psychologische Sturz kam vermutlich auch als Reaktion auf die Euphorie 1967. Führten der Sechstagekrieg und die territoriale Ausweitung auf das Westjordanland und den Gazastreifen zum innerisraelischen Diskurs für und wider die Besatzung, so hatte der Jom-Kippur-Krieg einen Bruch zwischen dem Volk und der Führung zur Folge. Denn die Verantwortung für die Gefallenen lag zuallererst bei der eigenen Regierung. Familienangehörige von vermissten Soldaten gingen aus Protest auf die Straße. Es fand eine „Deglorifizierung des Krieges“ statt, meint Professor Yagil Levy, Experte für Gesellschaft und Militär an der Offenen Universität Tel Aviv.

„Die praktische Konsequenz des Krieges“, sagt Levy, „war eine Vergrößerung der Armee und damit eine größere Belastung der Gesellschaft.“ Ziel von Regierung und Armee war jetzt, die Motivation für den Dienst an der Waffe zu stärken. Das national-religiöse Lager sollte stärker eingebunden werden wie auch die orthodoxe Bevölkerung. Außerdem gab es militärische Vorbereitungskurse an den Schulen. Das „Image einer Armee des Volkes“ sollte gefördert werden, meint Levy.

„Im kollektiven Gedächtnis“

Seit knapp drei Jahren erst tritt die Armee wieder auf die Bremse. „Wir hatten infolge des Jom-Kippur-Krieges ein riesiges Aufgebot an Panzerdivisionen, die jetzt zurückgeschraubt werden“, berichtet Brigadegeneral (a. D) Schalom Harari, der heute am Antiterror-Institut ICT in Herzlia forscht. Kein anderer Krieg beschäftige die Armee und Nachrichtendienste so nachhaltig wie der Krieg vor 40 Jahren.

„Überraschungen zu verhindern ist entscheidend“, meint Harari, der überzeugt davon ist, dass der Krieg auch „im kollektiven Gedächtnis von Netanjahu“ eine Rolle spielt, wenn er die Welt vor einem Atomstaat Iran warnt.

FAKTEN

Hintergrund. Der Krieg begann mit einem Überraschungsangriff Ägyptens und Syriens am 6. Oktober 1973, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, auf dem Sinai und den Golanhöhen, die sechs Jahre zuvor von Israel im Zuge des Sechstagekrieges erobert worden waren. Israel gelang es bald, die Angreifer zurückzudrängen. Am 22. Oktober trat ein vom UN-Sicherheitsrat ausgerufener Waffenstillstand in Kraft, kurz darauf begannen Friedensverhandlungen. 1979 unterzeichneten beide Seiten das Friedensabkommen von Camp David.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2013)

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