"Shutdown": Gelähmte Wut in den USA

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Die politische Blockade Washingtons beginnt, die globalen Interessen der USA zu schädigen. Ein Kompromiss zwischen Obama und der "Tea-Party" ist aber unwahrscheinlich.

An einem strahlenden Oktobertag in Washington tritt eine Gruppe von Menschen auf den Balkon an der Westfassade des Kapitols. Die Herren tragen Anzüge, Krawatten, die Damen Sommerkleider und Kostüme. Sind das Senatoren? Kongressabgeordnete? Oder Touristen? Man kann das von unten nicht erkennen, zu hoch steigen die Säulen und Pilaster und Kuppeln dieses Palasts der Demokratie empor.

Für die drei Dutzend Demonstranten vor dem Kapitol allerdings ist klar, wer da die Aussicht über die National Mall hin auf das ferne Washington Monument genießt. „Tea-Party-Terroristen!“, gellen ihre Schreie. „Ihr nehmt das Land in Geiselhaft! Schert euch zum Teufel!“ Ein Motorradpolizist dreht eine nervöse Runde um die Demonstranten, allesamt Bundesbeamte, die wegen des Budgetstreits zwischen Präsident Barack Obama und den Republikanern im Kongress seit Dienstag auf unbezahltem Zwangsurlaub sind. Die uniformierten Beamten der Parkpolizei blicken unruhig um sich. Sollen sie die Kundgebung auflösen? Auch sie bekommen seit Dienstag kein Gehalt.

Charles, einem jungen Krebsforscher um die 30, der in der Gruppe der Demonstranten steht, ist dieser Zornesausbruch seiner Mitstreiter sichtlich peinlich. „Ich bin als Wissenschaftler viel besser denn als Demonstrant. Aber ich darf nicht einmal von zu Hause aus arbeiten“, sagt er zur „Presse am Sonntag“. Charles ist ein höflicher, aufgeschlossener Mensch. Er kann verstehen, dass nicht alle Amerikaner die neue Krankenversicherung toll finden. „Wenn man versuchen will, Obamacare rückgängig zu machen, soll man das ruhig tun. Aber doch bitte nicht so!“


Die Kluft vertieft sich. Er weiß, wovon er spricht. In seiner Familie gibt es einige Tea-Party-Aktivisten. „Unsere Thanksgiving-Abendessen sind immer ziemlich interessant“, sagt er. Regelmäßig lädt er seine Tea-Party-Verwandtschaft in sein Labor ein, um zu zeigen, wie er mit ihrem Steuergeld an einer Therapie gegen Krebs arbeitet. Konnte er jemanden umstimmen? Charles sieht das nüchtern. „Einige finden es dann gut, was ich mache. Aber wissen Sie: Für die Oma ist der eigene Enkel immer der Tollste von allen.“

Solche überparteilichen Beziehungen werden immer seltener. Das zeigt eine mehrjährige Untersuchung der Tea Party, welche die Politikwissenschaftler Christopher Parker und Matt Barreto von der Universität in Washington, Seattle, soeben unter dem Titel „Change they can't believe in“ bei Princeton University Press veröffentlicht haben. Allein von 2010 bis 2011 ist die Zahl der Amerikaner, welche die Tea Party stark ablehnen, von 23 auf 33Prozent gestiegen. Die Zahl derer, die sie stark unterstützen, ist nur leicht von 28 auf 29 Prozent gestiegen.

Stark dafür oder stark dagegen: Dazwischen gibt es immer weniger Raum für politische Debattenkultur. Das stimmt Parker pessimistisch für die nahe Zukunft Amerikas. „Bis zum Ende von Obamas Amtszeit wird es keine großen Reformen geben, und wir werden eine Fortsetzung dieser Blockade erleben“, sagt zur „Presse am Sonntag“ (siehe nebenstehendes Interview).

Dabei schädigt der Shutdown, die zwangsweise Aussperrung von rund 825.000 der zirka zwei Millionen Bundesbediensteten, Amerikas globale Interessen. Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit der EU sind vorerst abgesagt: Zu viele Experten des US-Handelsministerium sind außer Dienst. Dasselbe gilt für 315 der 345 Beamten im Finanzministerium, die mit dem Vollzug der Sanktionen gegen den Iran befasst sind. Präsident Obama sagte wegen des Budgetstreits einen Staatsbesuch in Südostasien ab – just in dem Moment, da China genau in dieser Weltgegend eine diplomatische Offensive startet.

Doch die Aussicht auf einen Sieg des Pragmatismus, der vordersten aller amerikanischen Tugenden, ist gering. John Boehner, der entnervte und machtlose Führer der Republikaner im Abgeordnetenhaus, flucht dem Weißen Haus entgegen, dass dies „kein verdammtes Spielchen“ sei. 87 Prozent der Bürger sind unzufrieden damit, wie die Dinge in Washington laufen. 44Prozent sind gar wütend, ergab die jüngste Umfrage von CBS News.

Wütend ist auch Adrienne, eine Beamtin im neunten Dienstjahr, die vor dem Kapitol demonstriert – wütend und resigniert: „Ich denke nicht, dass die da drinnen meine Sorgen wahrnehmen.“ Übrigens: Tea-Party-Mitglieder kennt sie persönlich nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2013)

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