Buchmesse Leipzig: Aufgebrauchtes Chaos

Streit um die Preisverleihung.

Die Preise der Leipziger Buchmesse sind vergeben. In der Kategorie Belletristik gingen 15.000 Euro für das beste Buch an die in Berlin lebende Ungarin Ter©zia Mora für ihren Roman "Alle Tage" (Luchterhand Literaturverlag). Es scheint, so Sigrid Löffler in der Begründung, als ob die deutschsprachige Literatur derzeit dort am besten wäre, wo sie nicht ganz deutsch sei. Im Bereich Sachbuch/Essayistik erhielt Rüdiger Safranski für seine Biografie, "Schiller oder Die Erfindung des deutschen Idealismus" (Hanser Verlag), dieselbe Summe. Jurymitglied Richard Kämmerlings würdigte Safranskis Buch als das Herausragende aus den Jubiläumsbüchern zum Schiller-Jahr. Der Preis für die beste Übersetzung ging an Thomas Eichhorn für den im Ammann Verlag erschienenen Roman "Fredy Neptune" von Les Murray, der auf Australisch verfasst wurde. Norbert Miller meinte, Eichhorn hätte für ein versepisches Werk, das in einer kaum zugänglichen Sprache geschrieben sei, den richtigen Ton gefunden.

"Hart an der Grenze ziviler Umgangsformen" seien die Auseinandersetzungen in der sechsköpfigen Jury gewesen, so ihr Vorsitzender Martin Lüdke (SWR), der die Preisverleihung altväterlich moderierte. 15 Bücher waren nach heftigem Streit in die Endauswahl gekommen, erst 15 Minuten vor der Übergabe standen die Sieger fest. Sonst geht es bei der Leipziger Buchmesse weniger hektisch zu. Denn vordergründig geht es hier nicht ums Geld. In erster Linie geht's ums "Branding". Möglichst oft möglichst positiv in den Medien und Publikationen vorkommen, das ist der Deal.

Dabei haben in Leipzig die kleinen, unbekannten Unternehmen bessere Möglichkeiten als in Frankfurt. Von der "Jutetüte" bis zur Holzkiste bietet etwa eine Firma Buch-Verpackungen an, eine andere hat sich auf Acryl-Buchständer spezialisiert. Etwas näher an den Kern rückt da der Leipziger Miniaturbuchverlag, der Klassiker "verzwergt" und in Streichholzschachtel-Größe packt. Den gegenteiligen Versuch unternimmt das Schiller-Forum: Dort steht ein riesiger Korb mit Äpfeln, um der Jugend einen Vitaminstoß gegen Pisa zu geben.

Aber Leipzig hat auch Brisanteres zu bieten, etwa den PDS-Vorsitzenden Lothar Bisky, der seine Autobiografie ("So viele Träume", Rowohlt Berlin Verlag) veröffentlicht hat. Darin schneidet die DDR besser ab als bei der Mehrheit der Deutschen. Welche Träume er denn hätte aufgeben müssen, wollte der Moderator auf dem "Blauen Sofa" wissen. Ja, so Bisky, der Glaube an den wissenschaftlichen Sozialismus wäre nicht aufrechtzuerhalten. Ob man aber die Methodologie von Marx damit schon aufgeben müsse, bezweifle er. Der Vorwurf der Naivität sei ihm gemacht worden, so der Gesprächspartner. "Ich weiß nicht, ob man unbedingt ,Schlechtmensch' sein muss, um politisch zu reüssieren", so Bisky.

Besondere Spannung erhielt sein Auftritt dadurch, dass kurz davor die russische Journalistin und Regimekritikerin Anna Politkovskaja auf dem Sofa Platz genommen und über ihr Buch "Putins Russland" (DuMont Verlag, Köln) gesprochen hatte. "Es sind bereits wieder sowjetische Verhältnisse", so Politkovskaja, Putin selbst spricht jetzt von einer "adaptierten Demokratie", welche die Regierungsform an die spezifischen Gegebenheiten eines bestimmten Staates anpasst. Aber kann man die Demokratie etwa an kannibalistische Traditionen anpassen? Schon die Inauguration Putins, bei der er völlig allein im Mittelpunkt stand, zeige das Zarentum seiner Herrschaft.

"Das Chaos ist aufgebraucht, es war unsere schönste Zeit", hatte Bisky gemeint. Das gilt wohl auch für die Leipziger Messe. "Asoziale an die Macht", liest man auf dem Rucksack eines der Jugendlichen, die die Besucherzahlen (über 102.000 im Vorjahr) zum Großteil ausmachen. Aber das ist nur Nostalgie. Die meisten Pubertierenden findet man an den Manga-Ständen. Dort gibt es auch ein "Schwarzes Sofa". Und das ist dann schon der dunkelste Widerstand.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.