Ein Smiley macht noch keinen Analphabeten

Die 16- bis 24-Jährigen schneiden bei der „PISA-Studie für Erwachsene“ besser ab als die Älteren. Schaden Facebook und SMS gar nicht so sehr wie gedacht?

Es war ein Schock. 2004 wurde die zweite PISA-Studie vorgestellt – und die Österreicher mussten erfahren, dass ihr Schulsystem keineswegs so viel taugt, wie sie immer angenommen hatten. Ein paar Jahre später mussten die Vorarlberger von einer lieb gewonnen Überzeugung lassen – sie wurden damit konfrontiert, dass die Geschichte mit dem Ost-West-Gefälle beim Bildungsniveau ein Mythos ist: Oberösterreich war deutlich besser – und auch das Ergebnis der in Auftrag gegebenen PISA-Länderstudie fiel anders aus als erwartet. Vorarlberg und Tirol lagen unter dem Schnitt.

Es ist ein netter Nebeneffekt von Studien zum Thema Bildung, dass sie manchmal Vorurteile widerlegen, die man über Jahrzehnte sorgsam gepflegt hat. Die jüngste Studie, die salopp unter dem Titel „PISA für Erwachsene“ läuft, birgt gleich zwei Überraschungen. Erstens: Frauen haben mitnichten die Nase vorn, wenn es ums Lesen geht. Wir lesen schlechter – und je älter wir sind, desto seltener verstehen wir Texte, die komplexer sind als etwa die Aufforderung, Medikamente in der Originalverpackung zu belassen – ein Beispiel aus der Studie. Zweitens: Die Jungen von 16 bis 24 sind kompetenter als die Alten, die gern über den Niveauverlust lamentieren, und sie beherrschen nicht nur die moderne Technik besser, sondern auch „alte“ Kulturtechniken wie die Mathematik und das Lesen. Im internationalen Vergleich bedeutet das, dass Österreich beim Lesen schwächer als der OECD-Durchschnitt abschneidet. Die Ergebnisse der Jungen allerdings bewegen sich im Mittelfeld.

Das wird vor allem jene überraschen, die gern glauben, dass in der Schule immer weniger verlangt wird, dass die Jugendlichen seltener als früher zum Buch greifen, dass, wer sich mittels Smileys und Kürzeln wie „lol“ und „rofl“ ausdrückt, automatisch die Fähigkeit verliert, etwa mit Partizipialkonstruktionen umzugehen oder den Genitiv korrekt anzuwenden. Kurz: dass die Jugend verblödet. Das war freilich schon immer zu kurz gedacht und ließ sich stets leicht widerlegen: Jene Aufgaben, die etwa Wittgenstein für die Mathematikmatura lösen musste, werden auch heute noch regelmäßig gestellt – allerdings wäre der Philosoph in spe im 21.Jahrhundert strenger bewertet worden.

Können wir aufatmen? Ist jetzt alles gut? Ist es nicht, nur war eben früher nicht alles besser. Felix Mitterer, in den 1950er-Jahren in einem Tiroler Dorf aufgewachsen, erinnerte sich in einem Gespräch mit der „Presse“ daran, dass Lesen in seiner Jugend verpönt war. „Lesen, hieß es, kostet Strom und hält vom Arbeiten ab.“ Dass Kinder der Schule fernblieben, um bei der Landarbeit zu helfen, wurde von Nachbarn wie Lehrern selbstverständlich akzeptiert. Wer heute sein Kind aus der Schule nimmt, weil er etwa Hilfe im Geschäft braucht, wird kaum auf Verständnis stoßen.


Der Stellenwert von Bildung ist gestiegen, vor allem jener von Bildung für Mädchen und Frauen. Die Herausforderungen sind mit der Zahl jener Berufe gewachsen, die Textverständnis und mathematische Kenntnisse voraussetzen. Und die Jugendlichen sind darauf immerhin besser vorbereitet als die Älteren. Allerdings: Nicht gut genug, auch das zeigt die Studie.

Interessant wäre noch gewesen, welches Ergebnis die Überprüfung der Rechtschreibkenntnisse gebracht hätte. Hier gibt es einen spannenden Vergleich, den ein Professor für Germanistik im deutschen Siegen angestellt hat – und der in Österreich wohl kaum anders ausgefallen wäre. Er hat drei Jahrgängen der vierten Klasse Volksschule einen Film vorgespielt und sie darüber einen Aufsatz schreiben lassen: Erstmals 1972, dann 2002, zuletzt 2012. Ergebnis: Die Rechtschreibfehler haben sich seit 1972 verdoppelt.

Eine Katastrophe? Was Wortschatz und Ausdrucksfähigkeit betrifft, sind die Kinder 2012 den Schülern von 1972 weit überlegen. Manche Schüler zumindest. Jene, die zu Hause gefördert wurden. Andere haben schon mit der Formulierung einfacher Sätze Probleme. Es ist ein Befund, der sich durch alle Studien zieht: Es gelingt nicht, die Schwächeren zu fördern. Heute nicht – und früher offenbar auch nicht.

E-Mails an: bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

ErwachsenenPISA Wirbel schlampige uebersetzung
Schule

Erwachsenen-PISA: Wirbel um schlampige Übersetzung

Bei einer Aufgabe, die im PIAAC-Pilottest verwendet wurde, dürfte zu leger mit Begriffen aus der Physik umgegangen worden sein.
Weiterbildung Feuerwehr soll Mitglieder
Weiterbildung

Feuerwehr soll Mitglieder zu Weiterbildung motivieren

Jobs für gering Qualifizierte werden immer weniger, doch es ist schwierig, gerade die Richtigen zu Weiterbildung zumotivieren, sagt Forscher Löffler.
Symbolbild
Weiterbildung

PISA für Erwachsene: Eine Million schlechter Leser

Auch die erwachsenen Österreicher sind beim Rechnen bestenfalls mittelmäßig, beim Lesen sogar schlechter. Immerhin: Die Jungen schneiden besser ab als die Älteren.
Symbolbild
Weiterbildung

Skandinavier und Japaner Testsieger, Südeuropäer besonders schlecht

EU-Bürger schneiden beim Lesen und Rechnen insgesamt suboptimal ab.
Beispielaufgaben Lesekompetenz
Weiterbildung

Beispielaufgaben zur Lesekompetenz

Diese zwei Texte dienten als Aufgaben bei der Feldtestung. Die Original-Aufgaben wurden nicht frei gegeben.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.