Die erste Frau an der Spitze der Federal Reserve steht vor einer enormen Aufgabe: Sie muss die Zinsen erhöhen und die Geldmenge zügeln, ohne eine weltweite Rezession auszulösen.
Washington. „Eine herausragende Denkerin und eine solide Geldpolitikerin: Mir fällt niemand ein, der besser als sie vorbereitet wäre“: So reagierte José Viñals, Direktor des Internationalen Währungsfonds für Kapitalmärkte, am Mittwoch auf die Nominierung von Janet Yellen als Vorsitzende des Federal Reserve System, kurz: Fed genannt.
Die 67-jährige bisherige Stellvertreterin von Ben Bernanke wird ihm aller Voraussicht nach im Februar folgen. Als erste Frau an der Spitze der heuer vor 100 Jahren gegründeten wichtigsten Notenbank der Welt steht ihr zwar noch eine Anhörung im Bankenausschuss des Senats bevor, in der sie von den republikanischen Senatoren dafür kritisiert werden wird, eine zu lockere Geldpolitik zu unterstützen und hohe Teuerungsraten zu begünstigen. Angesichts der demokratischen Mehrheit im Senat wird ihre Bestellung aber ohne Zweifel über die Bühne gehen.
Präsident Barack Obama lobte Yellen am Donnerstag bei der Nominierung als "eine der führenden Wirtschaftswissenschaftlerinnen unserer Nation". An der fachlichen Eignung der seit 1978 mit dem Nobelpreisträger George Akerlof verheirateten und in Yale ausgebildeten Wirtschaftswissenschaftlerin gibt es auch vonseiten der Kritiker keine Zweifel.
In der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Vertretern der Idee, dass man so gut wie alle volkswirtschaftlichen Probleme allein mit der Verknappung oder der Ausdehnung der Geldmenge lösen kann, und deren Gegnern, die meinen, dass eine kontrollierte Teuerungsrate essenziell ist, um ausreichend Nachfrage und somit Arbeitsplätze zu ermöglichen, gehört Yellen klar ins zweite Lager.
Wie sie Greenspan umstimmte
Sie brachte den damaligen Fed-Präsidenten Alan Greenspan bei einer Sitzung im Juli 1996 von seiner Idee ab, dass die Geldpolitik stets jegliche Teuerung verhindern solle. Damit würden wir Deflationen heraufbeschwören, konterte Yellen und überzeugte Greenspan mittels zahlreicher Studienergebnisse davon, dass ein bisschen Inflation dabei hilft, auf lange Sicht Rezessionen entweder vorzubeugen oder sie zu lindern. „Ich glaube, dass es eine gute Idee ist, zwei Prozent Inflation anzusteuern“, sagte Yellen damals laut Sitzungsprotokoll der Fed. „Wir sollten das auf langsame Weise tun und schauen, was passiert.“
Das überzeugte Greenspan. „Janets Gespräche und ihre Präsentationen basierten auf Fakten, und das hat immer meine Aufmerksamkeit erhalten“, sagte er Jahre später zur „New York Times“.
Wenn Yellen nun in die Fußstapfen von Greenspan und Bernanke tritt, muss sie die verspäteten Folgen der jahrelangen Niedrigzinspolitik und jene Geldmengenausweitung begradigen – Politiken, an der sie als Teil des Führungsgremiums beteiligt war.
Denn auch im sechsten Jahr nach Ausbruch der schwersten Nachkriegsrezession steht Amerikas Bankenwesen auf tönernen Füßen. Die Arbeitslosenrate betrug im heurigen August 7,3 Prozent. Das ist noch immer um fast 50 Prozent höher als vor der Rezession. Zudem ist die wahre Arbeitslosigkeit höher, weil Woche für Woche unzählige Amerikaner die amtlich erfasste Arbeitssuche aufgeben und damit aus der Statistik fallen.
Die Zinsen sind seit Dezember 2008 knapp über null, und dank des umfangreichen Aufkaufs von Staatsanleihen und morschen Hypothekenpapieren durch die Fed – das „Quantitative Easing“ – umfasst ihre Bilanz nun mehr als 3,75 Billionen Dollar (2,76 Billionen Euro). Die Wirkung, die sich Bernanke und Yellen davon erhofft hatten, blieb aber aus: Die Kreditvergabe an Häuslbauer und Betriebe stockt trotz dieses starken Rückenwindes. Führende Unternehmen wie Apple oder Pfizer halten Milliardengewinne in ihren Auslandstöchtern, weil sie in den USA keine vertrauenswürdigen Investitionsmöglichkeiten sehen.
Prognose-Meisterin
Yellen wird also mit Fingerspitzengefühl diese Bilanz der Billionen schonend abtragen müssen, ohne dadurch Schockwellen durch die Wall Street zu jagen – und dann durch die gesamte Weltwirtschaft. Betrachtet man ihre bisherige Arbeit in der Fed, bringt sie das nötige Augenmaß dafür mit. Seit 2009 hat sie laut einer Erhebung des „Wall Street Journals“ im Vergleich zu ihren Kollegen die künftige Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft am korrektesten vorausgesagt.
„Die am wenigsten zutreffenden Prognosen kamen von den ,Falken‘, die befürchteten, dass die Politik der Fed eine steigende Inflation auslösen würde“, hielt das „Journal“ fest.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2013)