LEITARTIKEL: Es gäbe genug Dissidenten, die den Friedensnobelpreis verdient hätten

Das Osloer Komitee verteilte wieder mutlos Vorschusslorbeeren. Diesmal an eine Organisation, die Syriens Chemiewaffen noch gar nicht vernichtet hat.

Vor ein paar Wochen konnten nur wenige Insider das sperrige Akronym OPCW auf Anhieb entschlüsseln. Seit die Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons, die Organisation für das Verbot chemischer Waffen, auserkoren wurde, das Giftgasarsenal des syrischen Diktators Bashar al-Assad unschädlich zu machen, ist ihr Bekanntheitsgrad gestiegen. Und nun ist die OPCW in aller Munde; sie erhält den Friedensnobelpreis.

Den 500 Mitarbeitern der seit 1997 tätigen Einrichtung sei die Anerkennung gegönnt. Sie haben gute Arbeit geleistet; bei der Vernichtung libyscher Massenvernichtungswaffen etwa. Trotzdem die ketzerische Frage: Gab es nicht bessere Kandidaten für den Friedensnobelpreis?

Rund um die Welt riskieren Dissidenten ihre Freiheit und oft auch ihr Leben im Kampf für Demokratie und Menschenrechte. Warum hat das Komitee in Oslo nicht einen von ihnen ausgewählt? Die Nobel-Medaille böte dem Ausgezeichneten einen gewissen Schutz. Ein Friedensnobelpreisträger könnte nicht mehr so leicht drangsaliert werden; zumindest nicht ohne Aufschrei der Weltöffentlichkeit. Zudem schüfe die norwegische Jury ein Vorbild, das andere inspiriert.

Eine solche Wahl erfordert jedoch Mut. Denn das Nobelpreiskomitee verärgerte damit die autokratischen Regime, gegen die sich Dissidenten stemmen. Vor drei Jahren hat es diese Courage gezeigt. Die kommunistische Führung in Peking war nicht erfreut, als der inhaftierte Intellektuelle Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis erhielt. Den Zorn Chinas bekam damals auch die norwegische Regierung zu spüren. Möglicherweise hat die Episode den diesbezüglichen Eifer von Thorbjørn Jagland, der die Friedensnobelpreis-Jury seit 2009 leitet, etwas gedämpft.

Der Herr, ein ehemaliger sozialdemokratischer Ministerpräsident Norwegens, hat im Zusammenspiel mit den übrigen vier Mitgliedern des Komitees wiederholt einen Hang zu eigentümlichen Entscheidungen gezeigt; zuletzt im Vorjahr, als die EU-Regierungschefs zur pathetischen Preisübergabe nach Oslo pilgern durften. Als besonders abstrus sticht bis heute heraus, dass sich US-Präsident Obama schon nach ein paar Monaten im Amt mit dem Friedensnobelpreis schmücken durfte. Die OPCW (zur Erinnerung: das ist die Organisation für das Verbot chemischer Waffen) hat zum Zeitpunkt ihrer Auszeichnung definitiv mehr Leistungen vorzuweisen als damals Obama. Doch ein Vorschusslorbeeren-Charakter kennzeichnet auch diese Ehrung. In die engere Auswahl und schließlich zu Ehren kamen die Inspektoren offenbar deshalb, weil sie Syriens Sarin-Sammlung vernichten sollen. Ihr Einsatz bewahrt Syrien vor einem militärischen Vergeltungsschlag, zu dem die USA nach dem massiven Giftgaseinsatz bei al-Ghouta schon ausgeholt haben.

Doch die OPCW-Mission hat noch gar nicht richtig begonnen. Und ob sie, mitten im Bürgerkrieg, gelingen kann, steht in den Sternen. Wird Syriens Staatschef wirklich sein Giftgasarsenal aufgeben? Er hat, nach Vorbild seines früheren irakischen Kollegen Saddam Hussein, unzählige Möglichkeiten, die Kontrolleure zu narren. Und die Verleihung des Friedensnobelpreises an den C-Waffen-Suchtrupp wird Assads Umgangsformen auch kaum verfeinern.

Falls Jagland nächstes Jahr Mut fassen sollte: In Kuba hätten die Dissidenten Oswaldo Paya und Yoani Sánchez eine Bestärkung verdient, in Nigeria die Versöhner Erzbischof John Onaiyekan und Sultan Mohammed Sa'ad Abubakar, in Russland Svetlana Gannuschkina, Chefin der Menschenrechtsorganisation Memorial; in der Türkei, obgleich wegen ihrer Nähe zur PKK problematischer, die Kurdin Leyla Zana. Doch das geht ja nicht: Die Türkei, Russland oder auch Aserbaidschan sind Mitglieder im Europarat. Und dort ist Jagland in seinem Hauptberuf Generalsekretär. Einen der beiden Jobs sollte er vielleicht aufgeben.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2013)

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