Samantha Geimer: "Ich mag keine Polanski-Filme"

Polanski
Polanski(c) EPA (ADAM WARZAWA)
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Samantha Geimer wurde als 13-Jährige vom großen Filmregisseur Roman Polanski vergewaltigt. Skandal und Gerichtsfall verfolgen beide ihr Leben lang. Nach 36 Jahren bricht das Opfer sein Schweigen.

Im März 1977 holt der berühmte Filmregisseur Roman Polanski die 13-jährige Samantha von ihren Eltern ab, um von ihr Fotos für die „Männer Vogue“ zu machen. In der Villa von Jack Nicholson setzt er sie unter Alkohol und Drogen und nötigt sie zu Geschlechtsverkehr. Der Haftstrafe entzieht er sich durch Flucht nach Frankreich. Als die Schweizer Polizei ihn 2009 festnimmt und eine Auslieferung prüft, flammt die Diskussion über den Fall neu auf.

Wie stehen Sie zu Polanski? Hassen Sie ihn? Haben Sie ihm vergeben?

Samantha Geimer: Damals wusste ich nur: Mein Leben und das meiner Familie gerät außer Kontrolle. Das ist jetzt 36 Jahre her. Ich habe ihn seither nur zweimal getroffen. Wir sind Fremde, die durch die Umstände seltsam verbunden sind, ihr Leben lang. Er ist eine Berühmtheit, und ich hänge an ihm dran, als „das Mädchen“. Andere machen schlimme Dinge, aber sie dürfen neu anfangen. An ihm bleibt dieses Etikett kleben. Ich habe keine bösen Gefühle, wir haben beide genug Schlimmes durchgemacht. Er soll frei reisen können. Es verstört viele Leute, dass ich kein wütendes und beschädigtes Opfer bin. Aber durch Wut würde ich mich nur selbst verletzen. Das Leben ist schwer genug. Ich habe ihm vergeben, aber auf eine egoistische Weise.

Aber als Sie in seinen Memoiren lesen mussten, wie anders er den fatalen Abend beschreibt – waren Sie da nicht zornig?

Ich rührte das Buch lange nicht an, ich wollte das alles ja hinter mir lassen. Als ich es dann doch las, dachte ich mir schon: Das ist jetzt unnötig unfreundlich. Vieles stimmt, manches mag er anders in Erinnerung haben, aber einiges ist einfach unwahr. Das habe ich nicht verdient.

Was denken Sie über Polanskis Kollegen und die Intellektuellen, die für ihn leidenschaftlich in die Bresche springen?

Es ist in normal und in Ordnung, dass seine Freunde ihn unterstützen. Aber wenn sie dann sagen, was für ein wunderbarer Mensch er ist, dass er so etwas nie tun könnte – da denke ich mir schon: Hallo, er hat das getan! Und wo bin ich? Mir ist das passiert, und ich werde völlig missachtet. Das tut weh.

Sie sagen: Was danach kam, war schlimmer– der Öffentlichkeit ausgeliefert sein, in den Medien beleidigt werden, vor Gericht über intimste Dinge aussagen müssen.

Als mich alle eine kleine Lügnerin nannten – das war traumatisierend, auch für meine Familie.

Sie wollten immer Ihre Ruhe. Warum haben Sie jetzt eine Autobiografie geschrieben? Das drängt Sie wieder ins Scheinwerferlicht.

Mir ist klar geworden: Es hört nie auf, es gibt kein Entkommen. Damit habe ich mich abgefunden. Aber für meine Familie ist es immer noch eine Qual. Meine Söhne müssen damit leben, dass immer wieder Paparazzi für Wochen unser Haus belagern. Deshalb habe ich mir gesagt: Steh für dich ein. Erzähle deine Geschichte. Wehre dich gegen die Lügen. Reagiere nicht immer nur, lass dich nicht länger herumschubsen.

Viele behaupteten: Die Mutter war schuld. Von Ehrgeiz besessen, lieferte sie ihre frühreife Tochter einem lüsternen Promi aus.

Sie hat einfach nicht erwartet, dass etwas Unanständiges passieren würde – und ich auch nicht. Das mag heute seltsam klingen. Heute würde ich meine Tochter nie mit jemand Fremden ziehen lassen. Aber damals konnten wir uns gar nicht vorstellen, dass ein so mächtiger, berühmter, hoch respektierter Mann etwas macht, was seinen Ruf schwer beschädigen kann.

War es eine echte Vergewaltigung?

Ich war erst dreizehn, damit war es Vergewaltigung, das ist die rechtliche Definition. Wie habe ich es erlebt? Worte wie „nicht einvernehmlich“, die heute in aller Munde sind, gab es damals nicht in unserem Vokabular. Ich glaubte: Zum Vergewaltigtwerden gehören rohe Gewalt und heftiger Widerstand. In der Situation dachte ich nur: Verdammt, ich will das nicht, aber ich weiß nicht, wie ich da herauskomme. Als ich später hörte: Es war illegal, was er tat, er wird im Gefängnis landen, da war ich überrascht. Ich wusste nicht einmal, dass es schon wegen meines Alters verboten war.

Sie schreiben: Sie fühlten sich eher töricht als beschmutzt und missbraucht...

Wenn ich zugebe, dass auch ich Dinge falsch gemacht habe, werden viele Leute zornig. Das könne ich nicht sagen, damit beleidige ich jedes Opfer. Also: Ich habe mich nie für das verantwortlich gefühlt, was er gemacht hat. Aber warum hatte ich zum Beispiel meiner Mutter nicht schon nach dem ersten Shooting gesagt, dass er mich oben ohne fotografiert? Dann wäre das alles nicht passiert. Ich glaube, dass viele Opfer ähnliche Zweifel haben. Das ist normal. Wenn man uns sagt: So darfst du nicht fühlen – dann hilft uns das nicht, da durchzukommen.

Ihr Bad Guy ist nicht Polanski, sondern der Richter. Er hielt aus Geltungssucht einen Deal nicht ein. Polanski floh, weil ihm plötzlich 50 Jahre Haft drohten. Und Sie beide wurden die Vergangenheit nie mehr los.

Das ist der unbekannte, noch nicht erzählte Teil der Geschichte. Dieser Richter hat manipuliert: Er hat dem Vergleich erst zugestimmt und ihn dann umgeworfen. So kann unser Rechtssystem nicht funktionieren, wenn mächtige Leute es für ihre Zwecke missbrauchen.

Da Sie beide Opfer richterlicher Willkür waren, unterstützten Sie die Anträge von Polanskis Anwälten?

Er hatte eine Schuld eingestanden. Er sollte nur Bewährung kriegen. Das ist genug, das ist die übliche Strafe. Wenn ich mich jetzt für ein faires Rechtssystem einsetze, unterstütze ich Roman – aber das ist nicht mein Motiv.

Mögen Sie Polanski-Filme?

Nein. Ich habe keinen verfeinerten Filmgeschmack. Ich mag keine allzu ernsten Filme. Komödien sind mir lieber. Wenn er eine Komödie macht, schaue ich sie mir gern an.

Zur Person

Samantha Geimer(50) ist verheiratet und hat drei Söhne. Sie arbeitet im Immobiliengeschäft und lebt auf Hawaii und in Nevada. „Die Presse am Sonntag“ traf sie in Frankfurt zur Buchmesse, wo sie ihre Autobiografie vorstellte.

Buch: „The Girl. Mein Leben im Schatten von Roman Polanski“, Orell Füssli Verlag, 20,60 Euro

Orell Füssl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2013)

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