Sie schuften in pakistanischen Ziegelöfen, in Indiens Textilfabriken oder müssen in Österreich auf den Straßenstrich gehen: Eine NGO hat einen Sklaverei-Index erstellt.
Sie verlassen ihre Dörfer, suchen Arbeit in der Großstadt und nehmen Jobs an, die vielversprechend klingen. Doch aus dem schnell verdienten Geld, mit dem die Familie daheim unterstützt werden soll, wird nichts. Von den Arbeitgebern werden sie kurz gehalten und ausgenutzt, im schlimmsten Fall sogar wie Leibeigene behandelt.
Mehr als 29 Millionen Menschen weltweit werden als moderne Sklaven bezeichnet. Das geht aus einem neuen Bericht der australischen Stiftung „Walk Free“ hervor, die sich der Abschaffung der modernen Sklaverei verschrieben hat. Darin ist ein Index von 162 Ländern enthalten, in denen die Organisation unter die Lupe genommen hat, wie viele Menschen dort in Sklaverei gehalten werden, wie hoch das Risiko einer Versklavung ist und mit welcher Entschlossenheit die jeweiligen Regierungen dagegen vorgehen. Die Autoren der Studie mischen dazu alle Formen der Ausbeutung, die unter den schwammigen Sammelbegriff „moderner Sklaverei“ fallen: Kinderarbeit, Zwangsheirat, Menschenhandel, Schuldknechtschaft. Die weltweit schlimmsten Regionen – in absoluten Zahlen gemessen – sind:
• Indien: Etwa 14,7 Millionen Menschen werden in dem bevölkerungsreichen Land (1,2 Milliarden Einwohner) als Sklaven ausgebeutet. Alle wichtigen Industriezweige des Landes sind davon betroffen: Sie schuften am Bau, in Textilfabriken, Minen oder verdingen sich als Haushaltshilfen. Mehr als 90 Prozent der Betroffenen stammen aus dem Land selbst, sie kommen aus den entlegensten, ärmsten Region Indiens. Wobei rund ein Drittel der Bevölkerung ohnehin schon als extrem arm gilt und mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen muss.
• China: Für rund drei Millionen Chinesen ist Sklavenarbeit Realität. Auch hier trifft zu, was für alle Länder gilt, die untern den Top Ten dieses Rankings aufgelistet werden: Männer, Frauen und Kindern sind betroffen, sie werden in allen Industriezweigen eingesetzt. Zwangsheirat, sexuelle Ausbeutung und organisiertes Betteln sind weitere Problemfelder. Der überwiegende Teil der chinesischen Sklaven verlässt das Land nie.
• Mit Pakistan liegt auf Platz drei wieder ein asiatisches Land (rund zwei Millionen Sklaven). Vor allem in der Punjab-Region ist Schuldknechtschaft weit verbreitet: Menschen aus den untersten Schichten verkaufen sich und ihre Arbeitskraft gegen ein geringes Darlehen. Es gelingt ihnen aber meist nie, ihre Schulden abzuarbeiten, weil ständig neue Forderungen entstehen. Sie sind somit der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgeliefert – eine gängige Praxis in den rund 5000 Ziegelöfen der Region. Dort steht auch Kinderarbeit an der Tagesordnung – ein Problem, das sogar das offizielle Pakistan einräumt. Etwa 3,8 Millionen Kinder zwischen neun und 14 Jahren müssen täglich Geld verdienen.
• Nigeria: Geschätzte 740.000 Nigerianer sind betroffen – vor allem Frauen und Kinder. Sie schuften in benachbarten Ländern auf Plantagen oder in Steinbrüchen. Ein weiteres Problem, das man auch aus Wien kennt: Nigerianische Frauen werden von Menschenhändlern unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Europa geschleust. Einziger Zweck: sexuelle Ausbeutung. Sind sie in den Zielländern angekommen, werden den Frauen die Pässe abgenommen, sie landen in Bordellen oder auf dem Straßenstrich.
• Weitere Hotspots: Äthiopien, Russland, Thailand, die Demokratische Republik Kongo, Burma (Myanmar) und Bangladesch. 76 Prozent aller versklavten Menschen kommen aus den zehn genannten Staaten.
Österreich als „Zielland“
Auch Österreich wird in dem Bericht erwähnt: Hier scheint – zumindest im internationalen Vergleich – alles in bester Ordnung. Österreich wird als reines „Zielland“ eingestuft – also als Land, in das Menschen geschleppt oder geschleust – und dann ausgebeutet werden.
HINTERGRUND
Statistik. Weltweit leben rund 29 Millionen Menschen in Sklaverei. In absoluten Zahlen betrifft es die meisten in Indien, China, Pakistan, Nigeria, Äthiopien, Russland, Thailand, der Demokratischen Republik Kongo, Burma (Myanmar) und Bangladesch. 76 Prozent aller versklavten Menschen kommen aus diesen Ländern. Auf den besten Plätzen rangieren Großbritannien, Irland und Island.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2013)