Sotschi: Im Staube ihres Angesichts

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In Sotschi gehen die Vorbereitungen auf die Winterspiele 2014 in die Phase des Feinschliffs. Zeitdruck und Personalmangel verursachen Nervosität.

Der Himmel, hier im Gebiet der Schwarzmeerstadt Sotschi sonst ausnehmend klar, erscheint derzeit schon morgens vom Staub getrübt. Auch die Zunge belegt er wie ein feinsandiger Firnis. Mancher der zehntausenden Bauarbeiter reibt sich die Augen. Zumindest im Inneren der Gebäude und Stadien sind die Partikeln vom aufgewirbelten Bauschutt bereits weggewischt. Auf die rundumliegenden Wiesen aber setzen sie sich als Patina, die vorerst den fehlenden Schnee zu ersetzen scheint.

Noch ist dieser nicht da. Noch sind es gute drei Monate bis zum Beginn der Olympischen Winterspiele. Und noch steckt Russland in den Vorbereitungen. Hier fehlt der Fassadenanstrich, dort der Gehsteig, an anderer Stelle die Einrichtung für die Unterkünfte der Olympioniken. Die Eröffnung der Schnellstraße vom Küstenort Sotschi bis zu den 70 Kilometer entfernten alpinen Abfahrtshängen des mächtigen Kaukasus lässt auf sich warten. Und überall wird gestemmt, gebohrt, gefräst. Sotschi – still under construction.


Hoher Druck. Gewiss, es ist schon der Feinschliff, der nach sechs Jahren Aufbauarbeit aus dem Nichts noch vorgenommen werden muss. „Wir satteln das Pferd langsam, dafür reiten wir dann umso schneller“, sagen die Russen im Sprichwort und in Sotschi über ihr Talent, unter Druck alle Kräfte zu mobilisieren. „Die Nervosität steigt“, sagt indes ein Vertreter des russischen Konzerns Basel, der mit der Strabag das Olympische Dorf fertigstellt. Vor der Übergabe der Objekte an das Organisationskomitee (OK) werde von allen Seiten taktiert. Kein Wunder, schließlich wird die ganze Projektdokumentation penibel geprüft. Im Biathlon-Stadion etwa, so der OK-Sprecher, muss für jeden Quadratmeter Bauabschnitt eine Unterschrift vorliegen, dass keine Zeitbombe eingebaut ist. Am Ende geht es um Haftung, um das heikle Thema der Sicherheit in einem vom Terror traumatisierten Land.

Sicherheit ist nicht der einzige Grund, warum die Spiele mit bis zu 37 Mrd. Euro, die freilich großteils in die Regionalentwicklung fließen, zu den teuersten der Olympiageschichte werden. Ein weiterer Kostentreiber ist die Korruption, die Russland wie ein Krebsübel zerfrisst. Sie muss nicht in Reinkultur daherkommen. Eine Spielart ist, dass die Besitzverhältnisse auf einem Grundstück nicht geklärt zu sein scheinen und bei dessen Anmietung verschiedene Eigentümer auftauchen. So geschehen beim Standort für das „Austria Tirol House“, das demnächst vom Österreichischen Olympischen Komitee (ÖOC) als zentrale Empfangs- und Werbeplattform errichtet wird. „Sechs Monate brauchten wir für alle Genehmigungen“, heißt es aus dem Umfeld des ÖOC, das im Übrigen die Bauleistung der Russen würdigt: „Manchmal hatten wir das Gefühl, dass die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut.“


Putinismus. Korruption und Bürokratie sind nicht die Themen, die Russlands Machthaber vorwiegend beschäftigen. Insofern ist Sotschi jener Mikrokosmos, in dem zutage tritt, wie die Wirtschaft im ganzen Land passiert: Etwa, dass mancher Oligarch Geld lockermachen musste, sich dieses nun aber möglichst wieder vom Staat zurücksubventionieren lassen möchte und die größten Aufträge den engsten Vertrauensleuten von Kreml-Chef Wladimir Putin aus seinen Petersburger Freundschafts- oder Judoklubs zugeschanzt wurden. Oder dass ein Projekt durchaus erfolgreich gestemmt wird, wenn der Befehl von ganz oben kommt.

So wird Sotschi zum Schauplatz der Superlative, der als Investitionstreiber über 560.000 Arbeitsplätze geschaffen hat. Und zum Schauplatz, den viele als Sprungbrett für ihre Karriere sehen. Daria Jatschmenewa etwa: Vor zwei Jahren flog die damals 23-jährige Hotelfachschülerin aus der sibirischen Stadt Omsk über knapp 3000 Kilometer nach Sotschi: „Ich flog aufs Geratewohl, weil ich immer geträumt habe, bei Olympischen Spielen zu arbeiten“, erzählt sie: „Binnen eines Tages hatte ich einen Job.“ Heute ist sie Veranstaltungskoordinatorin in einem der Berghotels. Und gehört zu den Bestausgebildeten ihrer Branche. Was man von jenen knapp 20.000, die in den nächsten drei Monaten allein in der Hotellerie zu rekrutieren sind, nicht eindeutig behaupten kann. „Challenging“, sagt Harald Bürkle, Generalmanager des Radisson- und Park-Inn-Hotels, halb lächelnd, halb verzweifelt über den Personalengpass. Das treibt die Löhne, weshalb heute in Sotschi besser gezahlt werden muss als in Moskau. Im Eilverfahren werde er die 210 Personen, die er noch finden muss, ausbilden, sagt Bürkle, und sie zum Teil aus anderen Ländern Osteuropas einfliegen. Was ihn sonst noch überrascht hat in Sotschi? „Die Baugeschwindigkeit“.

Man hört sie. Man sieht sie. Am abendlichen Horizont dann auch die Sonne, deren Strahlen durch den Staub schimmern. Ganz überwinden kann sie ihn nicht. Das wird schon bald der Schnee erledigen, der ihn unter sich begraben wird. Und die Arbeitsstimmung in eine Feststimmung dreht, wie sie der Kaukasus noch nie erlebt hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2013)

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