Wien, unerwartet modern

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Austauschstudenten wissen meist nicht, was sie in Österreich erwartet: Mozart und Monarchie dominieren, aber auch die Lebensfreude wird geschätzt. Deutsche Studenten sind auf Ressentiments gefasst.

Freundlichkeit würde ich den Österreichern nicht unbedingt als Eigenschaft zuschreiben“, sagt David Zistl. Der deutsche Politikwissenschaftsstudent wurde in Wien nicht erst einmal wegen seiner Herkunft angepöbelt, als „Piefke“ oder „Sch... Deutscher“ beschimpft. An der Uni ist ihm das zwar noch nicht passiert – dass die Skepsis der Österreicher gegenüber den deutschen Studierenden bisweilen groß ist, ist aber kein Geheimnis. Immerhin eilt denen der Ruf voraus, den Österreichern die Studienplätze wegzunehmen – und vor allem dann an die Unis zu drängen, wenn ihr Notendurchschnitt für den Numerus clausus (NC) und damit für einen Platz in der Heimat nicht reicht.

Zistl nimmt es mit Humor. Wenn er sich an der Uni vorstellt, dann meist mit den Worten: „Hallo, ich komme aus Deutschland und ich bin ein NC-Flüchtling.“ Tatsächlich gehört er zur Gruppe der ausländischen Studierenden, die hierzulande am häufigsten anzutreffen sind: Jeder vierte der mehr als 80.000 internationalen Studierenden stammt aus Deutschland, auf Platz zwei und drei folgen mit großem Abstand die Italiener – vor allem Südtiroler – und Studierende aus der Türkei. Insgesamt gehört Österreich zu den Ländern mit dem höchsten Anteil ausländischer Studenten – Tendenz steigend.

Warum es all diese Studierenden nach Österreich zieht, hat unterschiedliche Gründe, wie die jüngste Studierendensozialerhebung zeigt. So kommen die Deutschen in erster Linie aufgrund der Nähe zur Heimat, weil sie ohnehin Deutsch sprechen oder – wie eben David Zistl – dort nicht den gewünschten Studienplatz bekommen. Auch Studenten aus Südtirol kommen wegen der Nähe und der Sprache, oft aber auch, weil ihr Studium in Italien nicht angeboten wird.


Schönes Wien.
Generell wollen viele der ausländischen Studenten einfach Auslandserfahrung sammeln – einmal weg von zu Hause. So, wie João Sousa Fialho. Der Portugiese will nicht, wie Zistl, das komplette Studium in Österreich absolvieren, sondern lediglich ein Semester hier verbringen. Seit Herbst studiert er an der Wiener Wirtschaftsuni. Und auch wenn seine Mutter von der „schönen Stadt Wien“ schwärmte – was ihn dort tatsächlich erwarten würde, wusste Sousa Fialho nicht. „Österreich ist ein eher unauffälliges Land“, sagt der 24-Jährige. „Man hört nicht viel davon.“

Eine Ausnahme ist der Geschichtsunterricht – da hat Österreich seinen Platz. Egal, ob in Portugal, der Ukraine oder in Taiwan. Denn wie Fialho erzählt der Taiwanese Kan-Wei Lin davon, in der Schule über die österreichisch-ungarische Monarchie und Österreichs Rolle in den Kriegen gelernt zu haben. Auch als Zentrum der klassischen Musik und – natürlich – als Mozart-Land war Österreich bei den ausländischen Studenten schon bekannt, bestätigt die Ukrainerin Maryna Tyshchenko. Kurz gesagt: Das Image bei den jungen Studenten ist ein durch die Geschichte geprägtes – und ein etwas verstaubtes.

Einmal in Österreich, verändert sich der Blick auf das Gastland aber sehr rasch. „Wien ist moderner als gedacht“, sagt Lin. In der Stadt gebe es viel zu erleben, wenn sie auch in keinem Vergleich zum hektischen Alltag in asiatischen Großstädten stehe. Dennoch schätzen die Auslandsstudenten, dass die Tradition ihren fixen Platz in der Stadt hat. „Ich mag es, dass das Klassische und Traditionelle hochgehalten wird – etwa die Kartenverkäufer im Mozart-Look, die vor dem Stephansdom auf- und abgehen“, sagt Lin. Die alten Häuser, die an den Fassaden montierten Schilder zu den berühmten Persönlichkeiten, die einst dort wohnten, all das würde das Flair ausmachen. Ebenso die Kutschen, die durch Wiens Straßen fahren, erzählt Tyshchenko.

Das ist übrigens keine Einzelmeinung. Eine erst kürzlich veröffentlichte Umfrage zeigt: Städte, Landschaft und Kultur werden besonders oft als Gründe genannt, warum es Austauschstudenten hier so gut gefällt. Insgesamt schnitt Österreich unter zehn Ländern am besten ab, was die Zufriedenheit der internationalen Studenten betrifft.


Offen – oder nicht.
Uneins sind die ausländischen Studenten allerdings, was die Einschätzung der österreichischen Mentalität betrifft. Während der Portugiese Sousa Fialho die Österreicher für verhältnismäßig kühl hält, bewundert Lin ihre Offenheit. „Die Österreicher sind gewissenhafte Arbeiter, können aber ebenso gut feiern. Sie sind die lustige Version der Deutschen.“

Der Bayer Zistl sieht wiederum keinen allzu großen Unterschied zwischen den Deutschen und den Österreichern. Nur eins: Der Wiener Humor sei doch ein sehr spezieller.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2013)

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