Russland: Putin nimmt Ukraine in die Mangel

Putin, Freihandelsabkommen, Ukrain
Putin, Freihandelsabkommen, Ukrain(c) REUTERS (RIA NOVOSTI)
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Das bevorstehende Freihandelsabkommen der EU mit der Ukraine erzürnt die Moskauer Führung. Sie erhöht deshalb den Druck auf Kiew. Gazprom fordert ultimativ 640 Millionen Euro Schulden zurück.

Wien/Kiew/Moskau. Auf der Fassade des Kiewer Außenministeriums hängt die ukrainische Fahne einmütig neben dem Sternenbanner der Europäischen Union. Die Annäherung der Ukraine an die EU ist es auch, die Ende November auf dem Gipfel in Vilnius mit der Unterzeichnung des Assoziierungs- und Freihandelsabkommens vertraglich fixiert werden soll. Für das durchaus wechselhafte Verhältnis zwischen Brüssel und Kiew in den letzten Jahren wäre das ein Meilenstein. Doch bis zum Gipfel sind es noch vier Wochen – vier Wochen mit vielen offenen Fragen. Da ist die inhaftierte Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, deren Freilassung Brüssel zur Bedingung für die Unterschrift erklärt hat. Ein Masterplan, wie Kiew die Causa zu lösen gedenkt, liegt noch immer nicht vor.

Doch Probleme bereiten Kiew nicht nur die Ansprüche des Westens. Der östliche Nachbar Russland ist es, der den Druck auf die Ukraine verstärkt: Das Assoziierungsabkommen verletze angeblich den ukrainisch-russischen Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit, war zuletzt aus dem Moskauer Außenministerium zu hören. Doch es war eine Ankündigung des russischen Staatskonzerns Gazprom am gestrigen Dienstag, die die Regierung in Kiew vermutlich mehr aufgeschreckt hat.

Zahlung per Vorauskassa gefordert

Gazprom-Chef Alexej Miller forderte von der Ukraine die sofortige Begleichung offener Gasrechnungen. Miller rechnete dem russischen Premier Dmitrij Medwedjew vor, wonach Kiew dem Gaskonzern umgerechnet 640 Millionen Euro für die August-Lieferung schulde. Man habe Kiew „sehr entgegenkommend“ eine Fristverlängerung bis 1.Oktober gewährt und die Transitgebühr für den Transport über ukrainisches Gebiet bis 2015 bezahlt – auf die Kiewer Überweisung warte man bisher vergeblich. Während der ukrainische Premier Mykola Azarow sagte, Kiew habe alles „unter Kontrolle“, erklärte Medwedjew, Moskau werde künftig strenger rechnen: „Wenn Kiew kein Problem sieht, heißt das, man hat nicht vor zu bezahlen.“ Man werde also künftig Vorauskassa verlangen.

Ob der Zahlungsrückstand einen neuen Gaskrieg entzünden könnte, bleibt abzuwarten. Das Verhältnis der defizitären ukrainischen Gasgesellschaft Naftogas zu Gazprom ist ein belastetes. Faktum ist auch, dass Moskau die Richtungswahl der Kiewer Führung – für die EU und gegen die von Russland geführte Zollunion – missfällt. Schon im Sommer führte man der Ukraine mit einem Importstopp für gewisse Waren und einer Verschärfung der Zollkontrolle vor Augen, was das Land künftig zu erwarten habe, wenn es sich nicht der Zollunion anschließt.

Die Energieversorgung ist ein politisches Lock- und Drohmittel im postsowjetischen Raum, dessen Energieversorgung von Russland abhängt: Bei Armenien hat es gewirkt. Ukraine-Experte Winfried Schneider-Deters hält den Zeitpunkt für politisches Kalkül: „Moskau versucht mit allen Mitteln, die Ukraine von der Unterschrift abzuhalten.“

Doch die russische Taktik könnte nach hinten losgehen: Schon der Handelskonflikt im Sommer hat die ukrainischen Eliten eher in ihrer Wahl bestärkt. Ein diplomatischer Vertreter einer anderen Ex-Sowjetrepublik, die ebenfalls ein Assoziierungsabkommen anstrebt, sieht angesichts der Gazprom-Drohung die EU gefordert: „Eine Verzögerung der Unterschrift wäre fatal.“

Weitere Infos:www.diepresse.com/ukraine

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2013)

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