Literatur und Kunst im "Nebelland"

Victor Rogy. Beeinflusst von der Ästhetik der Wiener Gruppe lässt Victor Rogy (1924–2004) in Kürzestgedichten und Wortbildern die Aura und Magie der Wörter und Dinge mitschwingen.
Victor Rogy. Beeinflusst von der Ästhetik der Wiener Gruppe lässt Victor Rogy (1924–2004) in Kürzestgedichten und Wortbildern die Aura und Magie der Wörter und Dinge mitschwingen.(c) Beigestellt
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Bachmann feat. Das geschriebene Wort, das zum gemalten wird: die Ausstellung „Nebelland“ in Kärnten.

Ines Doujak. Hermann Melvilles Erzählung „Benito Cereno“ ist Ausgangspunkt für Doujaks kolonialismuskritische Multimedia-Installation „Follow the leader“ (2005).
Ines Doujak. Hermann Melvilles Erzählung „Benito Cereno“ ist Ausgangspunkt für Doujaks kolonialismuskritische Multimedia-Installation „Follow the leader“ (2005).(c) Beigestellt

Zwei Grandes Dames der österreichischen Literatur sind Patinnen eines Ausstellungsprojekts im Museum moderner Kunst Kärnten, das dem Verhältnis von bildender Kunst und Literatur nachspürt: Die gebürtige Kärntnerin Ingeborg Bachmann (1926–1973) ist mit ihrem Gedicht „Nebelland“ Namensgeberin der Ausstellung. Anlassgeberin ist die Wienerin Friederike Mayröcker. Das nicht hauptsächlich deshalb, weil die prominente Schriftstellerin am 20. 12. 2014 ihren – unglaublich, aber wahr! – 90. Geburtstag begeht, sondern weil vor einigen Jahren ein Sammelband ihrer Lyrik den Maler Johanes Zechner zu einem groß angelegten Bilderzyklus veranlasst hat. „Als ich das Buch im Atelier zur Hand nahm und damit begann, langsam darin zu lesen, manchmal laut, manchmal flüsternd, wurde mir bald klar, dass ich meine bildnerischen Übersetzungen dieses Gesamtwerkes aus sechs Jahrzehnten nicht in einem Sommer, auch nicht in einem Jahr schaffen würde“, beschreibt Zechner den Moment der Initialzündung.

Sechs Jahre gab er sich schlussendlich Zeit, für jedes Jahrzehnt ein Jahr. Jeden Sommer, wenn er aus der Stadt in sein Gartenatelier in der zweisprachigen Kärntner Gemeinde Mieger/Medgorje übersiedelte, arbeitete er je zwei Monate an dem Zyklus. Zechner: „Das ergibt dann im Jahr 2014 ein volles Jahr und Friederike Mayröcker wird 90!“ Der „FM-Zyklus“, in dem Johanes Zechner seine leuchtende Farbfeldmalerei mit Textzitaten zusammenbringt, ist eine logische Fortführung seiner langjährigen malerischen Auseinandersetzung mit Lyrik.

„Große Affirmation und Liebe“. Dass er diesmal ausgerechnet Friederike Mayröcker auswählte, ist Ausdruck seiner besonderen Wertschätzung für die Schriftstellerin, die ihrerseits immer wieder Texte zur Kunst, etwa von Picasso, Francis Bacon und anderen, verfasste. „Da ist eine große Affirmation und Liebe im Spiel“, sagt Zechner. Doch auch vorher schon reagierte er häufig mit Bildern auf dichterische Texte, malte beispielsweise zahllose Arbeiten zu Gedichten seines Freundes Peter Waterhouse. Dass er überhaupt so in die Literatur, insbesondere die Lyrik, hineinkippte, sieht Johanes Zechner als Fügung des Zufalls. „Es hat alles damit begonnen, dass ich als 16-Jähriger beim Schulschwänzen zufällig Reinhard Priessnitz kennengelernt habe. Bald darauf bin ich Peter Waterhouse begegnet, so sind die Fäden in die richtige Richtung gelaufen. Maler bin ich dann zur Not geworden – und vielleicht aus einem Drang heraus, weil ich nicht schreiben kann.“

Ein Nahverhältnis zur Literatur im weitesten Sinn liegt auch Eva Schlegels milchig-verschwommenen, bewusst unscharf gehaltenen Schriftarbeiten auf Glastafeln oder anderen Trägermaterialien zugrunde, an denen sie seit  zwanzig Jahren arbeitet. „Ich lese viel und sehr gern“, sagt sie. „Die Texte, die ich für meine Arbeiten aussuche, sind daher immer auch Texte, die mich umgeben – literarische ebenso wie wissenschaftliche –, wobei mich besonders Aspekte wie Typografie oder Struktur interessieren.“ In Klagenfurt treten ihre Arbeiten in aktiven Dialog mit eigens verfassten Gedichten, u. a. von Rosa Pock. Außerdem wurde der Schriftsteller und Theoretiker Ferdinand Schmatz vom Museum beauftragt, zu Schlegels Werken einen Text zu schreiben. Er hat ihn als szenischen Dialog angelegt, der während der Dauer der Ausstellung von der Gruppe „wenn es soweit ist“ wiederholt vor Schlegels Schriftarbeiten aufgeführt wird.


Kunstwerke mit Bezug zur Literatur. „Der Fokus“, sagt Kurator Andreas Krištof, der die Ausstellung gemeinsam mit Museumsdirektorin Christine Wetzlinger-Grundnig konzipierte, „richtet sich auf Kunstwerke, die einen Bezug zur Literatur haben oder auf literarische Quellen Bezug nehmen. Umsetzung und Übersetzung fallen dabei auf die unterschiedlichste Weise unliterarisch aus. Zudem haben wir mit Falkner und Ferdinand Schmatz eine Literatin und einen Literaten eingeladen, deren Texte einen Gegenblick auf die Kunst aus Richtung der Literatur auftun.“

Insgesamt versammelt die Ausstellung 16 Positionen. Die Konzeptarbeiten von Bela Ban & Viktor Rogy verweisen auf den Einfluss der Wiener Gruppe. Den gerade für Kärnten so wichtigen Aspekt des Aufeinandertreffens zweier Sprachen – Slowenisch und Deutsch – bringen  Angelika Kaufmann und der doppelbegabte Gustav Januš  mit ihren Werken ins Spiel. Maria Bussmanns frühe Zeichnungsserie „Das Fliegenpapier“ wiederum ist ein eindringlicher Kommentar zu Robert Musils gleichnamigem, knapp vor dem Massensterben des Ersten Weltkriegs entstandenem und daher oft als prophetisch gedeutetem Prosatext über den Todeskampf einer Fliege.

Abenteuer und Apokalypse. Im Zentrum von Hans Schabus’ berührender Installation steht ein als Kind von ihm an die Eltern geschriebener Brief mit einer Zeichnung aus dem Krankenhaus. Die Körperlichkeit des Schreibaktes vermittelt Josef Dabernig mit der eigenhändigen Abschrift eines Essays des italienischen Architekten Vittorio Gregotti. Ausgangspunkt für die Multimediaarbeiten von Nicol Six/Paul Petritsch und Ines Doujak sind Vorlagen aus den Bereichen Reise- und Abenteuerliteratur. Mit der Bibel als Urtext setzen sich Werner Hofmeister und Heimo Zobernig auseinander – der eine in monumentaler Wort-Bild-Reflexion mit der Genesis, der andere mit der Apokalypse in Form eines Kompendiums aus Texten und Fotografien auf Druckbögen. Und Julius Deučbauer lenkt mit seinem partizipatorischen Projekt der „Bibliothek der ungelesenen Bücher“ das Augenmerk auf die Frage der Rezeption von Literatur sowie deren Kanonisierung.

Tipp

Museum moderner Kunst Kärnten: „Nebelland hab ich gesehen“ 14. 11.2013–16. 2. 2014 www.mmkk.at

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