Teil 33 von 52
… was bisher geschah: Die Rider des Lieferdienst Wien und die Nebendarsteller dieser Geschichte haben das Nachtlokal verlassen, ohne ihre Rechnung zu bezahlen. An Ellis und Hanna bleibt alles hängen.
Ellis schreit. Das war doch erst ihr zweiter Arbeitstag! Sie hat bisher mehr ausgegeben als eingenommen. Diese Rechnung ist nicht fair. „Sogar Herr Stefanov?“, fragt Hanna entsetzt. Dass nicht einmal der ehemalige Mitarbeiter des Monats seine Zeche beglichen hat! Ellis und Hanna legen zusammen. Die Scheine türmen sich in den flachen Händen der Wirtin wie zuvor noch die zitronengelben Kleider zu Anis’ Füßen. „Lieben heißt loslassen“, murmelt Ellis und legt ihren letzten Schein dazu.
Byamba beteiligt sich halbherzig. Er will noch einmal einen Blick auf die Rechnung werfen. Er subtrahiert, addiert und multipliziert. Sein Bandana wird feucht vom Schweiß der Cent-Fuchserei, eher mittelerotisch. Hanna setzt dem Schauspiel ein Ende und bezahlt den Rest. Dann haken sich die jungen Frauen beieinander unter und gehen nach Hause. Ohne Rüstung, ohne Räder, ohne Bargeld. Und Moritz? Moritz kann ja nie zahlen. Moritz kocht daher immer für alle. Kartoffeln, Reis und Dosenmais. Wenn er einmal den Bachelor in Geografie in der Tasche hat, gibt’s was Feines. Dann wird Moritz sich bei seinen WG-Kolleginnen revanchieren. „Datteln im Speckmantel“, verspricht er, während er hinter Hanna und Ellis hertrabt. „Und diese Suppe, die man im Brotlaib serviert!“
Als Ali heimkommt, ist seine Frau noch wach. Vorsichtig steckt er seinen Kopf ins Wohnzimmer, unsicher, was er zu erwarten hat. Vorwürfe, Anschuldigungen, böse Worte? Alis Frau kann leidenschaftlich sein, wenn sie nicht an der Kassa sitzt. Ali macht sich gefasst. Er hat Byamba begleiten müssen, es hat einiges zu klären gegeben, er, Ali, hat doch schon längst gehen wollen. Aber Alis Frau ist nicht wütend. Sie legt den Zeigefinger auf die Lippen ihres Mannes, sucht dann auf dem Smartphone nach dem Song, den sie für den Abend vorbereitet hat: „Love Me Like You Do“ von Ellie Golding. Aus dem Original Motion Picture Soundtrack von „Fifty Shades of Grey“. Alis Frau hat „Fifty Shades“ weder gelesen noch den Film gesehen, aber sie kann sich denken, dass es dabei nicht um die Farbe Grau und ihre zirka fünfzig Nuancen geht. Ihr gefällt auch das mehr als mittelerotische Plattencover.
Byamba überquert den Gürtel auf Höhe des Matzleinsdorfer Platzes, in Gedanken versunken. Die jungen Frauen verstehen ihn nicht. Er möchte gerecht teilen. Byamba hat am wenigsten Geld von allen. Einen Teil schickt er nach Hause. Handyshop-Manager Ching, genannt Matthew, knöpft ihm die viel zu hohe Miete ab. Die Sache mit dem Avantgardefilm muss erst so richtig anlaufen. Hätte das Filmcasino seine Arbeit zur „Woche des mongolischen Avantgardefilms“ eingeladen, wäre er jetzt einen Schritt weiter. Sollte Byamba als Überbrückung etwas anderes machen? Bei Ali Getränkekisten schleppen? Als einfacher Runner beim kommerziellen Film anfangen? Byamba schüttelt den Kopf. Für ihn steht die Kunst über allem. Muss man denn loslassen, was man liebt?
„Für mich ist der Liebesscheiß mit Byamba geklärt“, bekundet Ellis. Hanna nickt. Moritz plappert vor sich hin: „Tiramisu als Nachspeise! Und Sangria mit Strohhalmen!“ Ob Moritz all seine Ideen wird verwirklichen können? Hanna und Ellis befürchten, dass dafür wieder einmal jemand anderer schuften muss. Lieferdienst Wien, einen Kübel Sangria mit Strohhalmen, bitte! Fortsetzung folgt
Teresa Präauer

Schriftstellerin, Essayistin, lebt in Wien. (Foto: Tom Langdon)