Die Festspiele der Überwachung

OLYMPIA - Olympische Winterspiele 2014, Vorberichte, Info Reise
OLYMPIA - Olympische Winterspiele 2014, Vorberichte, Info ReiseGEPA pictures
  • Drucken

Die Terrorgefahr aus dem Nordkaukasus ist ein zentrales Thema bei den Winterspielen in Sotschi. Die Stadt wird gesichert wie eine Festung – Zugang bekommt nicht jeder.

109 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele ging die Bombe hoch. Nicht in Sotschi, sondern in Wolgograd, knapp 1000 Kilometer vom Austragungsort der Winterspiele 2014 entfernt. Die weite Steppe, inmitten der die Stadt liegt, ist dem unruhigen Nordkaukasus vorgelagert. Es ist ein verletzliches Gebiet, das in der Vergangenheit häufig Ziel von Anschlägen war. So auch vor zwei Wochen: Eine Selbstmordattentäterin tötete sechs Menschen in einem Autobus und bewies damit einmal mehr, wie hilflos das sicherheitsbewusste Russland einem terroristischen Angriff ausgeliefert ist.

Der Anschlag zeigte, dass extremistische Kräfte bereit sind, ihre im Sommer verlautbarte Drohung in die Tat umzusetzen: Russland habe mit „maximaler Gewalt“ zu rechnen, sagte damals Doku Umarow, Anführer des islamistischen „Kaukausus-Emirats“.

Die Terrorgefahr ist ein Thema, das die Organisatoren von Sotschi seit der Zuerkennung der Spiele 2007 auf der Agenda haben – und haben müssen. Schließlich befindet sich der Austragungsort just am Fuß jenes Gebirges, das das Operationsgebiet der islamistischer Kämpfer darstellt, die Umarow befehligt.

Platz für Olympischen Geist? 20.000 bis 30.000 Sicherheitskräfte – von Armee über Geheimdienst bis zur Polizei – werden während der Spiele im Einsatz sein, in Sotschi selbst und in den Bergen rundherum, schätzt Gernot Leitner, Geschäftsführer des österreichischen Unternehmens Masterconcept im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Masterconcept erstellt Masterpläne vor allem für Wintersportorte.

Leitners Firma ist seit einigen Jahren in Sotschi tätig und hat dort unter anderem das Verkehrskonzept erstellt – auch hier spielte Sicherheit eine wichtige Rolle. „Von Tag eins an hat man das mitgeplant“, sagt Leitner. Die Männer von den Sicherheitsdiensten seien immer mit am Tisch gewesen. Nach Auskunft des Österreichers ist das Sicherheitsthema in Sotschi „ganz extrem umgesetzt“ worden.

Ob sich in Sotschi der so oft beschworene olympische Geist entfalten kann, bleibt abzuwarten. Denn die Stadt dürfte zur Zeit des Wettkampfes einer Festung gleichen. Auf gesetzlicher Ebene wurden die Weichen schon im Sommer gestellt. Präsident Wladimir Putin hat per Dekret Demonstrationen vom 7. Jänner 2014 bis zum 21. März verboten. Die schmale, sich an die Schwarzmeerküste schmiegende Stadt wird in verschiedene Sicherheitszonen eingeteilt. Das Problem: Sotschi ist vom Rest des Landes nur über eine Straße erreichbar. „Wegen der geografischen Beengtheit ist mit massiven Einschränkungen zu rechnen“, sagt Leitner.

Verschiedene „Filter“, wie es im Fachjargon der Logistiker heißt, sollen sicherstellen, dass verdächtigen Personen erst gar nicht in die Nähe der Veranstaltungsorte gelangen. Beim Ticketkauf müssen Festivalbesucher ihre Identität angeben, die von den Sicherheitsorganen überprüft wird; auf dem Flughafen und den Bahnhöfen läuft Videoüberwachung; Straßensperren werden errichtet und es wird natürlich Checks beim Einlass zu jeder Sportstätte geben. Der russische Geheimdienstexperte und investigative Journalist Andrej Soldatow erregte unlängst mit seinem Bericht Aufsehen, wonach die russischen Behörden die elektronische Kommunikation von Athleten und Besuchern komplett überwachen wollten.


Bedrohung für Umland.
Während derzeit noch der Stau zum Autofahreralltag in Sotschi dazugehört, soll während der Spiele der Individualverkehr massiv eingeschränkt werden. Nur Autos lokaler Anwohner oder solche mit Akkreditierung dürfen sich bewegen. Die Zufahrt zu den Bergen, wo im Berg-Cluster die Abfahrts- und Skisprungbewerbe stattfinden, wird überhaupt nur jenen gestattet, die ein Event-Ticket haben. Leitner bedauert, dass es „es keinen großen Ort gibt, an dem sich alle versammeln können“.

Könnte es in Sotschi tatsächlich zu Anschlägen kommen? Die russische Nordkaukasus-Expertin Ekaterina Sokirianskaja von der International Crisis Group hält das jedoch für kaum wahrscheinlich. Denn der Sicherheitsaufwand sei eben ausgesprochen groß. „Ich glaube nicht, dass Sotschi selbst in Gefahr ist, Ziel von terroristischen Überfällen zu werden“, sagt sie zur „Presse am Sonntag“. Terrorgefahr bestehe dennoch: „Es gibt ein Risiko von Anschlägen in der größeren Region.“ Die Bombe von Wolgograd könnte, so gesehen, nur ein erster Vorgeschmack gewesen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Workers adjust base transceiver station at Sochi 2014 Winter Games biathlon arena in Krasnaya Polyana
Olympia

Sotschi: Strabag baute das Olympische Dorf

Auftragsvolumen inklusive Umbau des Flughafens Adler erreicht fast eine halbe Milliarde Euro. "Jetzt ist alles fertig - die ersten Gebäude sind übergeben, bis Dezember folgt der Rest", sagte Manager Dragan Pavelic
Sotschi, Olympia 2014
Wintersport

Sotschi: Österreich entsendet Rekordaufgebot

100 Tage vor Beginn der Spiele plant das ÖOC mit 120 Athleten – von Quoten, Fixstartern und Aussichten.
International

Sotschi: Im Staube ihres Angesichts

In Sotschi gehen die Vorbereitungen auf die Winterspiele 2014 in die Phase des Feinschliffs. Zeitdruck und Personalmangel verursachen Nervosität.
Putins Spiele
Olympia

Putins Spiele heiligen die Mittel

Die Winterspiele in Sotschi sind das größte Prestigeprojekt des Kreml-Chefs. Die Vorbereitungen schluckten massenhaft Geld – das vor allem in die Taschen von Putins Freunden floss.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.