Weil es keine Gentlemen mehr gibt

Es ist ein Beispiel von Würde und Anstand, das in der Politik selten ist. 1929 ließ US-Außenminister Henry Stimson die Entschlüsselungsabteilung seines Ministeriums, die den Telegrammverkehr zwischen den Botschaften in Washington und ihren Heimatländern knackte, schließen. Seine Begründung: „Gentlemen don't read each other's mail.“

Heute gibt es keine Gentlemen mehr in der Politik. Es wird nicht nur gelesen, was andere Diplomaten, Regierungschefs oder Minister in E-Mails schreiben, es wird auch abgehört, was sie sagen – am Handy oder in Konferenzräumen. Dass jetzt viele Politiker so tun, als wäre das eine große Überraschung und ein unfreundlicher Akt des fremden Landes, ist lächerlich.

Natürlich ist es die ureigenste Aufgabe eines Geheimdienstes, Informationen über ausländische Regierungen zu beschaffen – und dafür bedient man sich vieler Mittel: Vor 100 Jahren war es Mata Hari, die als Nackttänzerin im Auftrag des deutschen Geheimdienstes die Franzosen bezirzte, heute sind es eben Abhöranlagen und Computer. Es hat schon einen Grund, warum der US-Präsident von der NSA mit einem raffinierten Blackberry ausgestattet wurde. Klügere Politiker führen keine kritischen Gespräche am unverschlüsselten Telefon oder schicken wichtige Informationen mittels regulärer E-Mails. Es wird gelauscht, mitgelesen und abgefangen, was die technischen Mittel hergeben. Das machen nicht nur die USA so, sondern alle Geheimdienste dieser Welt. Das ist unerfreulich, aber ein Faktum.

Deutschland muss wegen der NSA-Abhöraffäre nicht seine Beziehungen zu den USA riskieren. Es soll Angela Merkel einfach ein besseres Handy geben.

E-Mails an:norbert.rief@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2013)

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