Wie die USA betreibt auch Großbritannien in der deutschen Hauptstadt von seiner Botschaft aus weitreichende Spionageaktivitäten. Eine Schlüsselrolle in der angelsächsischen Abhör-Entente spielt die geteilte Insel Zypern.
London/Berlin. In seinem Spionageroman „Der Spion, der aus der Kälte kam“ zeichnete John Le Carré ein düsteres Porträt der Frontstadt Berlin zu Zeiten des Kalten Krieges. Von ihren Abhöranlagen am Teufelsberg im Grunewald spähten die Briten damals in den Osten. Nach dem Fall der Berliner Mauer wechselten sie die Perspektive, und sie platzierten sich direkt im Zentrum der Macht: ganz in der Nähe des Brandenburger Tors und des Reichstags im früheren Ostteil, einen Steinwurf entfernt von der US-Botschaft, dem Hotel Adlon und dem Café Einstein – einem beliebten Treff der politischen Kaste der „Berliner Republik“ –, an der Kreuzung Unter den Linden und Wilhelmstraße.
Abgesperrt durch mächtige Poller liegt die britische Botschaft wie eine sandfarbene Festung da. Oben auf dem Dach, in einem zylinderförmigen Anbau, residieren die Nachfahren Le Carrés, der sein Handwerk einst beim britischen Auslandsgeheimdienst MI6 gelernt hatte. Wie die britische Zeitung „The Independent“ unter Hinweis auf Dokumente des Aufdeckers Edward Snowden enthüllte, installierten die Briten – ähnlich wie die US-Amerikaner – in ihrer Botschaft eine Abhöroperation. In den oberen Etagen nisteten sich die Spezialisten des britischen Geheimdiensts GCHQ (Government Communications Headquarters) ein, um die politische Elite Deutschlands ins Visier zu nehmen.
Klub der Five Eyes
In ihrer Spionagetätigkeit orientiert sich Großbritannien an den USA. Zusammen mit den USA und den englischsprachigen Verbündeten Kanada, Australien und Neuseeland etablierten die Briten nach dem Zweiten Weltkrieg den exklusiven Geheimdienstklub Five Eyes. Deutschland und Frankreich bemühten sich vergeblich um eine Aufnahme, gleichwohl besteht eine Kooperation. Wie der US-Geheimdienst NSA betreibt das GCHQ ein Netz elektronischer Horchposten in seinen Botschaften rund um den Globus – oft in Partnerschaft mit den Nato-Verbündeten.
Weil die transatlantischen Glasfaserkabel vielfach unter dem Ärmelkanal verlaufen, ist es für die Briten ein Leichtes, den Datenverkehr anzuzapfen. Der Codename für die Operation lautet „Tempora“, wie Snowden vor wenigen Monaten via „Guardian“ aufdeckte.
Knotenpunkt Zypern
Laut Berichten unter anderem der „Süddeutschen Zeitung“ kommt Zypern dank seiner günstigen strategischen Lage eine spezielle Rolle bei den angelsächsischen Spionageaktivitäten zu. In Ayios Nikolaos, in der kargen Abgeschiedenheit der griechisch-türkischen Grenze der Insel, hat Großbritannien bereits nach dem Zweiten Weltkrieg einen Horchposten errichtet – die Basis für die Spionage im Nahen Osten. Israel, Syrien und der Libanon liegen im Radius von wenigen hundert Kilometern. Unter dem Codewort „Ruffle“ kooperiert Israel mit London und Washington.
Mit tatkräftiger, auch finanzieller Unterstützung der USA haben die Briten die Station zu einem Knotenpunkt für den Nahen Osten und Nordafrika ausgebaut. Hier treffen 14 Unterseekabel an Land. Als die Briten drauf und dran waren, den Posten zu schließen, sprangen die USA in die Bresche. Mittlerweile teilen sich London und Washington die Kosten.
In einem internen Dossier rät die NSA ihren Agenten, sich auf Zypern als Touristen zu tarnen – allerdings tunlichst nicht als „typische Amerikaner“, sondern als Europäer. Wer sich in Shorts, T-Shirts und Sandalen tummelt, so das Kalkül in den Geheimdienstzentralen, ist weniger auffällig als die „Schlapphüte“ in Trenchcoats, der ehemaligen „Uniform“ der Spione im Kalten Krieg.
In Berlin gehen derweil die Wogen über die jüngste Enthüllung in der NSA-Affäre hoch. Außenminister Guido Westerwelle lud den britischen Botschafter zur „Aufklärung“ ins Ministerium. Unterdessen werden Stimmen laut, die ein No-Spy-Abkommen Deutschlands mit den USA und Großbritannien fordern.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2013)