Fall Gurlitt: "Sammlung war kein Geheimnis"

Henri Matisse Gurlitt
Henri Matisse Gurlitt(c) EPA (MARC MUELLER)
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Der Vizedirektor des Belvedere findet: "Jetzt von einer großen Entdeckung zu sprechen, ist geradezu lächerlich". Er sieht die Schuld unter anderem bei den Restitutionsforschern.

Der Münchner Kunstfund ist für Alfred Weidinger, Vizedirektor des Wiener Belvedere, alles andere als eine Überraschung: "Das ist alles ziemlich aufgeblasen. Dass diese Sammlung existiert, das war kein Geheimnis. Im Grunde genommen hat jeder wichtige Kunsthändler im süddeutschen Raum gewusst, dass es das gibt - auch in der Dimension", so der Experte für die klassische Moderne im Gespräch mit der APA. Weidinger sieht die Schuld unter anderem bei den Restitutionsforschern. "Das Problem ist, dass sie nicht präzise genug sind. Jetzt von einer großen Entdeckung zu sprechen, ist geradezu lächerlich. Wenn ein Restitutionsforscher ordentlich arbeitet, ist es kein Geheimnis, den Spuren der Familie Gurlitt nachzugehen - in keiner Art und Weise. Jeder, der von der Familie noch lebt, steht im Telefonbuch! Wenn man im Jahr 2013 darauf kommt, dass es in München die Sammlung Gurlitt gibt, dann haben die ihren Job nicht richtig gemacht."

Eine Erklärung für das Vorgehen der Behörden und den Umgang mit der Öffentlichkeit hat der Kunsthistoriker ebenfalls: "Ich glaube, da wollen sich Leute wichtig machen. Da kommt plötzlich eine Kunsthistorikerin daher, die mit einem Male als die große Entdeckerin gilt - das ist lächerlich!" Er persönlich glaube jedenfalls nicht, dass sich noch weitere Gurlitt-Werke in Österreich finden werden. Sein persönliches Fazit ist jedoch eindeutig: "In diesem Fall haben viele ihre Hausaufgaben nicht richtig gemacht."

mumok-Direktorin: "Provenienzen rasch klären"

Als "unfassbar" bezeichnet Mumok-Direktorin Karola Kraus nach dem Fund, "dass es einer Person gelang, solche Schätze so lange Zeit im Verborgenen zu halten". Darüber hinaus halte sie es für unverständlich, dass die Staatsanwaltschaft diesen Fund zwei Jahre lang zurückgehalten hat. "Viele Menschen, die von diesem Diebstahl betroffen sind, sind sehr alt oder bereits verstorben", so Kraus. "Die Öffentlichkeit hätte meines Erachtens umgehend informiert werden müssen. Es bleibt zu hoffen, dass die Provenienzen rasch geklärt werden können, sodass die Besitzer ihre Schätze zurückbekommen."

Dass man die Aussage Hildebrand Gurlitts, die Sammlung sei im Zweiten Weltkrieg verbrannt, nicht hinterfragt habe, empfindet Kraus hingegen als nachvollziehbar. "Ich gehe davon aus, dass seine damaligen Aussagen überzeugend waren und man daher an ihrem Wahrheitsgehalt nicht zwangsläufig zweifeln musste", so die mumok-Chefin.

Als mysteriös erachtet Kraus jedoch die Tatsache, "dass sein Sohn über Auktionen einzelne Werke veräußerte und damit seinen Lebensunterhalt finanzieren konnte. Spätestens bei diesen Verkäufen hätte man die Provenienz dieser Werke klären müssen." Im Zuge dessen hätte man darauf aufmerksam werden und hinterfragen müssen, ob nicht noch weitere Werke aus der Sammlung Hildebrand Gurlitts existieren. "Möglicherweise vernachlässigten die Auktionshäuser ihre Pflicht, die Herkunft dieser Werke lückenlos nachzuweisen", so Kraus, die auch auf die Sammlung Jäger und die Fälschungen durch Wolfgang Beltracchi verwies, bei dem führende Experten jahrelang in die Irre geführt wurden. "Ich will nicht behaupten, dass dies in der Absicht der Auktionshäuser lag. Vielmehr ist es die Geschicklichkeit derer, die betrügen, die dazu führt, dass viele Wahrheiten nicht ans Tageslicht kommen."

Nach Kriegsende offenbar von Alliierten konfisziert

Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete in ihrer Mittwochausgabe, dass ein Teil der Sammlung nach Kriegsende von den Alliierten beschlagnahmt und von diesen von 1945 bis 1950 verwahrt wurde. Die Zeitung beruft sich auf ihr vorliegende Dokumente. Dabei handle es sich um Protokolle, die die Alliierten von Befragungen des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitts zu dessen Rolle im Dritten Reich anfertigten.

Eine an diese Protokolle angehängte Liste gibt demnach Auskunft über Gurlitts mehr als hundert Einzelwerke umfassende Privatsammlung, die zu diesem Zeitpunkt in einer Wiesbadener US-Sammelstelle eingelagert war. Darauf eingetragen seien offenbar auch einige der am Dienstag in Augsburg präsentierten Werke, darunter das bisher unbekannte Selbstbildnis von Otto Dix und das Gemälde "Zwei Reiter am Strand" von Max Liebermann sowie die Gouache von Marc Chagall.

(APA/Red.)

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