Frattini: "Europäischen Geheimdienst wird es nicht geben"

Italiens Ex-Außenminister Franco Frattini fragt sich, wer hinter den NSA-Enthüllungen steckt
Italiens Ex-Außenminister Franco Frattini fragt sich, wer hinter den NSA-Enthüllungen stecktEPA
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Italiens Ex-Außenminister Franco Frattini hat in der NSA-Affäre volles Vertrauen in die USA. Das Ausspähen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel sei aber illegal, meinte er im "Presse"-Interview.

Die Presse: Würden Sie Edward Snowden treffen, was würden Sie ihn fragen?

Franco Frattini: Es ist nicht meine größte Sorge, Herrn Snowden zu treffen. Ich bin eher besorgt über die Sicherheit unserer Staaten, die kritische Infrastruktur und darüber, dass Informationen an die Öffentlichkeit gelangt sind, die extrem heikel für die nationale Sicherheit sind.
Freilich ist es nicht legal, Regierungsmitglieder auszuspionieren oder eine deutsche Kanzlerin abzuhören. Und ich glaube, unsere amerikanischen Freunde haben auch verstanden, dass da etwas Falsches passiert ist. Dessen ungeachtet interessiert es mich weniger, bestimmte Personen zu treffen, sondern eher zu erfahren, was hinter diesem Enthüllen geheimer Informationen steckt.

Sie glauben also, dass es interessierte Parteien gibt, die die Enthüllungen initiiert haben?

Ich weiß es nicht. Aber ich frage mich schon: warum gerade jetzt, zu einer Zeit, in der es diese terroristischen Bedrohungen gibt, in der wir wissen, dass so viele Kämpfer aus Europa in Ländern wie Libyen, Afghanistan oder Syrien sind – Kämpfer, die auch wieder nach Europa zurückkehren wollen? Wir brauchen gerade jetzt mehr Kooperation im Bereich des Anti-Terror-Kampfs und der Geheimdienste.

Sie sagten, das Ausspähen von Regierungschefs sei illegal. Ging man nicht auch beim Abhören normaler Bürger zu weit?

Ich kann nur für Italien sprechen, wo ich eineinhalb Jahre als Minister auch die Geheimdienste koordiniert habe. In Italien ist es nicht möglich, Bürger abzuhören, solange es keine Ermittlungen gibt oder Gründe der nationalen Sicherheit, wenn es etwa um eine Terrororganisation geht.

Ich spreche aber von den Abhöraktivitäten der USA.

Ich weiß, dass es in den USA strikte Regeln zum Schutz der Privatsphäre gibt.

Schon, aber diese gelten nur für US-Amerikaner.

Ja, für US-Bürger. Im Detail weiß ich nicht über die Abhörprogramme Bescheid, ich kann also nur noch einmal sagen, dass das Ausspähen der deutschen Kanzlerin illegal ist, so viel ist klar.

Wenn es eindeutige Beweise gibt, dass die NSA in großem Umfang in Italien Bürger ausspioniert hat, wie sollte Ihre Regierung reagieren?

Mein Premierminister hat ja schon reagiert und sich mit US-Außenminister Kerry getroffen. Er hat Erklärungen gefordert, und die Zusicherung erhalten, dass es diese Erklärungen geben wird. Damit bin ich zufrieden, ich habe Vertrauen in die USA.

EU-Kommissarin Reding hat einen europäischen Geheimdienst vorgeschlagen. Was halten Sie davon?

Ich kann mir schwer vorstellen, dass es eines Tages dazu kommt. Als ehemaliger europäischer Verantwortlicher für innere Sicherheit weiß ich, dass jeder der vielen Geheimdienste in den Mitgliedstaaten seinen eigenen Hinterhof schützt. Bleiben wir realistisch: Es ist unwahrscheinlich, dass diese geheimen Informationen völlig gebündelt werden. Besser wäre es, sich um eine engere Koordinierung der Geheimdienste zu bemühen.

Sie beraten ja seit Kurzem die serbische Regierung: Was genau ist Ihre Mission?

Meine Aufgabe ist es, Serbien stärker an die europäischen Kriterien heranzuführen. Dass Reformen verabschiedet und auch umgesetzt werden, dass Serbien eng mit den EU-Staaten zusammenarbeitet, und dass Serbien seinen Beitrag zur Stabilisierung des Westbalkan leistet. Bei all dem wird Serbien erfolgreich sein, denn ich habe gespürt, dass es in Belgrad einen starken Willen dazu gibt. Das hat man auch an dem historischen Abkommen zwischen Kosovo und Serbien gesehen, das man sechs Monate zuvor noch nicht für möglich gehalten hätte.

Ganz ehrlich: Glauben Sie, dass Serbien eines Tages EU-Mitglied wird? Bei all der herrschenden Erweiterungsmüdigkeit?

Ja, die Chance besteht. Denn trotz dieser Erweiterungsmüdigkeit hat Europa noch immer Interesse daran, den Westbalkan zu integrieren. Vorausgesetzt, die Staaten erfüllen alle Kriterien. Die Mitgliedschaft ist kein Geschenk, sondern sollte das Resultat von Reformbemühungen sein. Und diese Reformen sind zuallererst gut für Serbien, nicht für Brüssel, etwa die Stärkung der Medienfreiheit oder des Justizsystems.

Ist es leichter, Serbien zu reformieren oder Italien?

Es ist leichter, Serbien zu reformieren. In Italien führen wir schon sehr lange Reformdiskussionen, aber es gibt leider starke Parteiinteressen, die dem Interesse des Landes an Reformen entgegenstehen. Ich bin ein vehementer Unterstützter der Bemühungen von Premier Letta, und erstmals gibt es jetzt auch ein umfassendes Reformpapier, an dem ich auch mitgearbeitet habe. Dieser Plan sollte jetzt umgesetzt werden.

Glauben Sie denn, dass die Regierung Letta überhaupt das nächste halbe Jahr übersteht?

Die Regierung wird jedenfalls bis 2015 halten. Wer auch immer vorgezogene Wahlen provoziert vor der italienischen EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2014 würde einen hohen Preis dafür an der Wahlurne zahlen. Und es wäre völlig unverantwortlich, denn Italien braucht jetzt zuallererst Stabilität.

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