Diskussion: "Vorwahlen würden viele den Job kosten"

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Wie könnte eine Reform der Parteien selbst aussehen? Ein grünaffiner Blogger, der Leiter eines ÖVP-nahen Thinktanks und ein Vertreter der SPÖ-Sektion 8 diskutieren über Bürgerbeteiligung und Basismacht.

Derzeit wird in der Politik viel von neuem Stil geredet. Wissen Sie, was gemeint ist?

Helge Fahrnberger: Das nehme ich nicht ernst.

Oliver Zwickelsdorfer: Ich kann mir darunter nichts vorstellen, das kommt aus der PR-Maschine der Großen Koalition. Ich glaube, es hat sich gar keiner überlegt, was ein neuer Stil ist.

Harald Mahrer: Ich beziehe den „neuen Stil“ nur auf die künftige Koalition – und den kann man noch nicht beurteilen. Natürlich wäre aber ein genereller neuer Stil, sprich ein neuer Umgang der Regierungsparteien mit der Opposition und der Zivilgesellschaft, in der politischen Debatte dringend geboten.

Herr Zwickelsdorfer, die Sektion 8 hat vor einigen Wochen probiert, einen parteiinternen Stilwechsel zu erreichen. Sie wollten eine Urabstimmung der SPÖ-Parteimitglieder über ein künftiges Koalitionsabkommen – und sind abgeblitzt.

Zwickelsdorfer: Solche Urabstimmungen sind in Österreich ungewöhnlich, aber international üblich – siehe die SPD-Abstimmung über den Koalitionsvertrag. Es geht um eine Emanzipation der Basis. Kleine Ortsparteien sollten Einfluss nehmen können auf die große Politik. Bisher wird alles im Hinterzimmer entschieden. Was es derzeit an Beteiligung in Parteien gibt, also etwa Mitgliederbefragungen, dient eher nur dazu, die Illusion der Partizipation aufrechtzuerhalten.

Aus der ÖVP hört man von einer Debatte über innere Demokratie nichts. Warum?

Mahrer: Nein, das wird so nicht debattiert. Man redet aber darüber, wie man die Partei nach außen öffnet und Andockstellen für die verschiedenen Milieus schafft. Denn dass die Altparteien den Bezug zu den Lebensrealitäten verloren haben, hat die Wahl allen klargemacht. Erst wenn man diese Andockstellen schafft, wird man beginnen, über digitale Mitsprache in der Partei nachzudenken. Bis jetzt gab es ja keine einzige österreichweite Online-Abstimmung in der ÖVP.

Bräuchte man die?

Mahrer: Ja. Und wenn sich die ÖVP ein neues Programm gibt – was sie dringend sollte, denn das alte ist fast 20Jahre alt – muss man darüber reden.

Wer Nichtparteimitglieder zum Mitreden einlädt, muss sie auch mitentscheiden lassen. Aber da tun sich sogar die Grünen schwer. Herr Fahrnberger, Sie haben 2009 auf eine Option im Statut der Wiener Grünen hingewiesen und online dazu aufgerufen, dass sich Grün-Sympathisanten als Vorwähler für die Erstellung der Landesliste registrieren lassen. Die Partei war mäßig begeistert.

Fahrnberger: Was die Grünen den Kaderparteien immerhin voraus haben – in der internen Basisdemokratie können zumindest die Mitglieder mehr mitreden. Allerdings hat auch dieses Modell Nachteile. Die Cliquenbildung führt dazu, dass letztlich nicht immer die besten Köpfe auf einer Liste landen oder die besten Ideen im Programm. Wir wollten aufzeigen, dass man eine sehr viel größere Gruppe in die Entscheidung einbinden kann, ohne dass das die Sache verkompliziert. Wichtig ist nur die richtige Partizipationsarchitektur, wobei das Internet ganz andere Möglichkeiten als eine Landesversammlung vor Ort bietet. Beispiel Wikipedia: Wer hätte früher denn je gedacht, dass ein Onlinelexikon, das von allen geschrieben wird, funktionieren kann? Wenn man 20 Jahre in die Zukunft schaut, wird es Parteien und die Art, wie sie Ideen kreieren, nicht mehr geben, nicht in dieser Form.

Wie schauen die dann aus?

Fahrnberger: Entweder es gibt noch mehr Populismus, noch mehr Polarisierung. Oder wir senken die Schwelle der Beteiligung und ermöglichen der Bevölkerung bzw. den interessierten Kreisen mitzureden. Diese Menschen muss man ins Politikmachen sozusagen hineinheben. In Stuttgart gibt es etwa den sogenannten Bürgerhaushalt, interessierte Bürger wirken am Budget der Stadt mit. Gute Ideen zur Beteiligung gibt es auch nach wie vor in der Piratenpartei. Die war zwar im letzten Wahlkampf nicht erfolgreich, aber das hatte andere Gründe.

Mahrer: Also mit Blick nach Deutschland glaube ich nicht, dass das Zeitalter der großen Volksparteien vorbei ist. Aber zwei Dinge sind passiert. Erstens hat sich krisenbedingt auch in Österreich die Stimmung in der Bevölkerung von „Uns geht's eh gut, daher brauchen wir uns nicht einmischen“ in Richtung ungemütlich gewandelt. Dazu kommt zweitens die Digitalisierung. Offen ist, wohin das führt. Ich persönlich glaube nicht, dass Basisdemokratie die Heilslehre ist. Um Entscheidungen zu treffen, muss man vereinfachen – irgendwann müssen das ein paar Leute ausreden und entscheiden. Aber das Internet ist sicher eine Riesenchance, weil es Beteiligung so viel einfacher macht. Es geht um die richtige Mischung.

Wenn digitale Beteiligung so eine Riesenchance ist, warum nutzt keine Partei sie?

Mahrer: Man nennt das Mittelsmannproblem. Es ist wissenschaftlich belegt, dass jene, die als repräsentative Vertreter gewählt wurden, kaum digitale Partizipation der Bürger wollen, weil sie fürchten, dadurch Macht zu verlieren. Tatsächlich müsste man dem Mittelsmann, etwa dem Abgeordneten im Parlament, klarmachen, dass er durch mehr Feedback der Bürger in seiner ursprünglichen Rolle als Vermittler gestärkt wird. Und er verliert ja keine Macht, weil er weiter allein entscheidet.

Fahrnberger: Im Fall der Abgeordneten wäre mehr Beteiligung der Bürger sogar eine Stärkung. Wenn Debatten über Themen oder Personalentscheidungen aus dem Hinterzimmer in die Öffentlichkeit rutschen, können Abgeordnete nicht so leicht „auf Linie“ gebracht werden. Innere Demokratie und Öffnung nach außen hängen zusammen. Erstere ist quasi die Vorbedingung.

Mahrer: Genau. Der Machtgewinn des einzelnen Abgeordneten bedeutet natürlich einen Machtverlust für die Führung der Partei. Deshalb gibt es von der Seite viel Widerstand.

Aber kann man so Politik machen? Funktioniert das Aushandeln von Kompromissen vor dem Vorhang?

Mahrer: Es gibt diese Fantasie, dass Minister Strategien à la Machiavelli entwerfen. In Wirklichkeit ist der Zeitdruck im Alltagsgeschäft so groß, dass sie getrieben werden. Da fände ich Machiavelli fast noch besser. Da gäbe es wenigstens einen Plan. Derzeit laufen viele Entscheidungen sehr erratisch ab, ohne Expertenteam und ohne Feedback von der Basis und schon gar nicht von den Bürgern – sieht man einmal von Innenpolitik-Journalisten ab. Eine breite Reflexion – und da rede ich noch gar nicht von Mitbestimmung – würde die Qualität der Entscheidungen verbessern.

Apropos Mitbestimmung: Herr Zwickelsdorfer, wenn in der SPÖ, wie Sie sich das wünschen, die Basis mehr mitreden darf, geht dann die Sektion 8 nicht erst recht unter? Allein eine Bezirkspartei Simmering wäre viel stärker.

Zwickelsdorfer: Wir sind ja nicht für innerparteiliche Demokratie, weil wir hoffen, dass sich unsere Positionen durchsetzen, sondern dass die Entscheidungen breiter legitimiert werden.

Das heißt, wenn sich die SPÖ-Mehrheit für ein strengeres Asylrecht oder die Zusammenarbeit mit der FPÖ ausspricht, ist das okay?

Zwickelsdorfer: Man würde zumindest erstmals in der SPÖ über Zuwanderungsthemen in der Partei diskutieren. Man weiß ja gar nicht, was die SPÖ-Mitglieder darüber denken. Schauen wir uns das abschreckende Beispiel der Bundesheerdebatte an. Da wurde der Kurs von der Parteispitze oktroyiert. Bei der Volksbefragung gab es dann ein massives Mobilisierungsproblem. Hätte man die Mitglieder abstimmen lassen, wäre es besser gegangen. Ich glaube, mehr innere Demokratie nutzt den Parteien unter dem Strich.

Inwiefern?

Zwickelsdorfer: In der SPÖ existiert die Idee, dass wenn es eine Vorwahl mit mehreren Kandidaten gäbe, das zerstritten wirken würde. In anderen europäischen sozialdemokratischen Parteien gibt es überall Kampfabstimmungen, und es registrieren sich dafür viele Menschen, die gar nicht Parteimitglieder sind. Da kommen Massen, und das mobilisiert später auch im Wahlkampf. Ich glaube, dass François Hollande auch deshalb gewonnen hat, weil so viele zur Vorwahl kamen.

Wenn das so segensreich ist, warum sperrt sich Ihre Partei dann dagegen?

Zwickelsdorfer: Ich glaube, dass das viele Leute den Job kosten würde, weil sie nicht mehrheitsfähig sind.

Welche Posten sollte man denn durch Vorwahlen bestimmen?

Zwickelsdorfer; Die Listen für Nationalrat und Landtag und auch die Parteigremien – z. B. den Parteivorstand.

Abgesehen davon, dass sich die Mitglieder wohler fühlen – was bringt der Ausbau der inneren Parteidemokratie nach außen? Im Verhältnis zum Wähler und Bürger?

Fahrnberger: Das Ziel ist, dass sich die Bürgergesellschaft wieder mit ihrem Staat identifiziert und auch begrüßt, wofür sie Steuern zahlt. Davon sind wir so weit weg wie noch nie zuvor. Um das zu erreichen, brauchen wir Mitsprache und Transparenz – in der Partei sowie in der Verwaltung. Denn das alles korreliert. Wenn das nicht passiert, dann brennt die Hütte irgendwann.

Mahrer: Man muss den Menschen die Möglichkeit geben, auch nur punktuell und zeitlich begrenzt mitzumachen. In der Wirtschaft, in NGOs geht es schon länger in Richtung Beteiligung, Eigenverantwortung, nur in der Politik nicht. Sie droht den Anschluss zu verlieren.

Zwickelsdorfer: Wenn Menschen mitentscheiden können, dann beteiligen sie sich auch mehr. Und es kämen vielleicht auch andere Leute. Bislang sind Parteien oft Beamten- und Pensionistenparteien. Man müsste daher Strukturen für Menschen schaffen, die nicht die Zeit haben, sich stundenlang in Ausschüsse zu setzen – z. B. Frauen mit Betreuungspflichten. Und wenn zu Kandidatenvorwahlen viele Nichtmitglieder kämen, wäre das Ergebnis dem Willen des durchschnittlichen SPÖ-Wählers wahrscheinlich näher.

Zur Person

Helge Fahrnberger
ist Unternehmer und Blogger(Medienwatch -Blog Kobuk). Politisch wurde er bekannt, als er unter dem Titel „Grüne Vorwahlen“ Nichtparteimitglieder zur Mitbestimmung der grünen Wiener Gemeinderatskandidaten aufrief.

Harald Mahrer
ist Unternehmer und gründete u. a. das Metis-Institut für ökonomische und politische Forschung. Er ist Präsident der Julius-Raab-Stiftung, ein der ÖVP nahestehender Thinktank.

Oliver Zwickelsdorfer
ist Mitglied der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Wahlrecht und Parteiendemokratie. Der studierte Volkswirt arbeitet in einer Marketingagentur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2013)

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