In die rätselhafte Hirnkrankheit, deren Symptome vor bald 200 Jahren erstmals beschrieben wurden und deren Ursachen immer noch im Dunkeln liegen, kommt ein wenig Licht: Gleich drei Hypothesen werden vorangetrieben.
„Es tötet einen nicht. Aber es nimmt das Leben weg.“ So beschreibt ein Opfer das Leiden, von dessen Hintergrund und Entstehung man kaum etwas weiß, obwohl es vor bald 200 Jahren erstmals beschrieben wurde, vom britischen Arzt James Parkinson, in „An Essay of the Shaking Palsy“. So hieß die Krankheit lange – Schüttellähmung –, erst nach Parkinsons Tod wurde sie nach ihm benannt. Sie traf und trifft viele, große Diktatoren – Hitler, Franco und Mao –, kleine Leute, auffällig oft in ländlichen Regionen: „Unfreiwillige Zitterbewegungen mit geschwächter Muskelkraft [. . .], mit einer Neigung, den Rumpf nach vorn zu beugen und vom Gehen ins Laufen überzugehen; die Sinne und der Intellekt bleiben unversehrt.“
Das ist der erste Satz von Parkinson's Krankheitsbild. Das zeigt sich den Betroffenen zunächst kaum, das Leiden beginnt unauffällig, etwa, wenn ein Arm beim Gehen nicht mehr automatisch mitschwingt, oder wenn das Schreiben entgleist, das musste Wilhelm von Humboldt bemerken, der preußische Schulreformer, er brachte seine Hand wieder unter Kontrolle, indem er auf Lateinisch schrieb. Aber mehr als die Symptome aufhalten kann man bis heute nicht: Man weiß, dass sich im Gehirn von Parkinson-Patienten etwas ablagert, und dass der Haushalt des Neurotransmitters Dopamin durcheinandergerät; deshalb bremst man das Fortschreiten der Krankheit mit Dopamin ein bzw. mit seiner Vorstufe L-Dopa. Ursächlich heilen kann man nicht, der Ursprung des Leidens liegt im Dunkeln: Zu maximal fünf Prozent spielen Gene mit, der Rest muss anderswo herkommen, etwa aus der Umwelt. Und weil Parkinson häufig auf dem Land auftritt (und in manchen Fabriken), gerieten in den letzten Jahren Pestizide unter Verdacht (und Industriechemikalien).
Schimmel an Wand und auf dem Land
Der Verdacht bestätigte sich auch oft. Aber: Die Krankheit ist viel älter, als die Chemikalien es sind. Schon in den Hieroglyphen und in der Bibel gibt es Hinweise, auch in der bildenden Kunst – in Rembrandts „Der barmherzige Samariter“ hat ein Gastwirt die typische, nach vorn geneigte Körperhaltung. Und Parkinsons systematische Beschreibung datiert eben von 1817, die Industrielle Revolution hat noch kaum begonnen, die Agrarchemie war in weiter Ferne. Deshalb haben sich Joan Bennett und Arati Inamdar (Rutgers) anderswo umgesehen, sie folgten einer Spur, auf die Bennett 2005 gestoßen war. Damals war sie an der Tulane University in New Orleans, und als Hurrikan Katrina kam, geriet ihr Haus erst unter Wasser, dann kam der Schimmel. Bennett, Spezialistin für giftige Pilze, wollte Proben nehmen, sie brach bald vor Kopfweh und Schwindel zusammen.
Wie das möglich war, wusste niemand, aber Inamdar hatte passende Tiermodelle, Fruchtfliegen, in deren Gehirn funktioniert vieles wie in unserem. Und eine Substanz brachte im Test erst den Dopaminhaushalt durcheinander – gleich auf zwei Wegen, bei der Produktion und beim Transport – und dann das Verhalten, vergleichbar mit Parkinson bei uns. Die Substanz heißt Octenol (1-Octen-3-ol) und ist ein Alkohol. Auf Englisch heißt sie auch „mushroom alcohol“: Sie kommt von Pilzen, Speise- wie Schimmelpilzen, und sie ist die chemische Substanz, die generell für Schimmelgeruch sorgt. Ihn mag es auf dem Land oft geben, auch in feuchten Häusern, in denen sich in epidemiologischen Studien Parkinson in letzter Zeit gehäuft gezeigt hat. „1-Octen-3-ol mag ein natürlicher Wirkstoff sein, der mit Parkinson zu tun hat“, schließen die Forscher (Pnas, 11. 11.).
Kommt das Leiden also von außen? Oder doch von innen, von Proteinen, die Amok laufen, sich falsch formen und damit andere anstecken? Dass es so etwas gibt und dass es das Gehirn krank machen kann – etwa bei Creutzfeld-Jacob –, vermutete Stanley Prusiner (UC San Francisco) 1982, er nannte diese Proteine Prionen, er wurde verlacht. Aber 1997 erhielt er den Nobelpreis, es hatte sich gezeigt, dass Prionen hinter dem Rinderwahn bei Rindern und Mad Cow Disease bei Menschen stehen. Und nun hat Prusiner eines der Proteine, die sich gehäuft in Parkinsonhirnen finden – α-Synuklein, es spielt bei der Dopaminausschüttung mit – als Prion identifiziert. Dazu hat er Hirngewebe von Menschen, die an einer Krankheit leiden, die mit Parkinson eng verwandt ist – Multisystematrophie (MSA) –, auf Mäuse übertragen. In deren Gehirnen breitete sich das giftige und ansteckende α-Synuklein rasch aus, und die Symptome zeigten sich auch rasch (Pnas, 11. 11.). Das heißt nicht, dass Parkinson ansteckend ist – außer vielleicht über Operationsbesteck für Eingriffe ins Gehirn –, es heißt nur, dass auch Prionen bei dem Leiden mitwirken könnten.
Müllabfuhr des Gehirns
Oder ist es noch einmal ganz anders? Geht es gar nicht darum, was sich da in Gehirnen ablagert, sondern darum, dass es nicht weggeschafft wird, dass die Müllentsorgung nicht funktioniert? Dafür hat das Gehirn eine ganz eigene Kanalisation, Maiken Nedergaard (Rochester) hat sie erst im Vorjahr entdeckt und „glymphatisches System“ genannt (in Anlehnung an das Lymphsystem, das den restlichen Körper entsorgt). Und vor Kurzem hat sie bemerkt, dass diese Müllabfahr vor allem im Schlaf aktiv ist (Science, 342, S. 372). Dessen Dauer sinkt seit Jahrzehnten: „Unsere Befunde haben eine signifikante Implikation für die Behandlung von Krankheiten des ,verschmutzten Gehirns‘“, schloss die Forscherin.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2013)