Sammlung Gurlitt: Zwei Familien fordern Werke zurück

KUNSTSAMMLER GURLITT IN SALZBURG
KUNSTSAMMLER GURLITT IN SALZBURG(c) APA/BARBARA GINDL
  • Drucken

Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat reagiert und 25 Werke, deren Herkunft zweifelhaft ist, ins Netz gestellt. Zwei Familien haben sich bereits gemeldet, eine stammt aus Dresden, eine aus Breslau.

Viel Kritik haben die deutschen Behörden in der letzten Woche einstecken müssen: Dass man die in Cornelius Gurlitts Münchner Wohnung beschlagnahmten Gemälde so lange unter Verschluss gehalten habe, nämlich seit dem Frühjahr 2012. Dass nur eine einzige Forscherin engagiert worden sei, um die Provenienz der über 1400 Werke zu klären. Ja, dass es eigentlich gar keinen Grund gegeben habe, die Werke zu beschlagnahmen, weil sie nämlich rechtmäßig in Cornelius Gurlitts Besitz seien.

Am Montagabend gab die Staatsanwaltschaft Augsburg dem öffentlichen Druck nach und veröffentlichte auf Lost Art, einer offiziellen Internetseite für geraubte und verschwundene Kunst, eine Liste mit 25 Gemälden aus der Sammlung, bei denen es sich möglicherweise um Raubkunst handelt. In Behördendeutsch: Es besteht der „begründete Verdacht auf NS-bedingten Entzug“.

13 Werke aus der Sammlung Glaser

Darunter befindet sich auch Max Liebermanns Gemälde „Zwei Reiter am Strand“ aus dem Jahr 1901. Es befand sich nach Angaben des „Spiegel“ ursprünglich in Besitz eines jüdischen Fabrikanten aus Breslau, der von den Nazis enteignet wurde. Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg tauchte das Bild wieder auf, und zwar auf Listen und Karteikarten der Alliierten: Sie hatten die „Zwei Reiter am Strand“ gemeinsam mit Dutzenden anderen Gemälden, Drucken, Zeichnungen und Aquarellen in der Neuen Residenz Bamberg beschlagnahmt. Der Verdacht: Raubkunst. Eigentümer der verdächtigen Kollektion: Hildebrand Gurlitt, Kunsthändler mit einem Faible für Expressionismus, damals sogenannte entartete Kunst, die er im Auftrag der Nationalsozialisten verscherbelt hatte.

Die Alliierten konnten Hildebrand Gurlitt, dem Vater von Cornelius Gurlitt, nichts nachweisen: Die Unterlagen, die über die Provenienz der Werke Auskunft geben sollten, waren angeblich verbrannt, Hildebrand Gurlitt bekam nach längerem Hin und Her und zahlreichen Briefwechseln die Bilder zurück.

Zumindest die „Zwei Reiter am Strand“ sind nun ein zweites Mal aufgetaucht, nämlich bei der Pressekonferenz der Augsburger Staatsanwaltschaft über den Fund in Cornelius Gurlitts Wohnung. Die Nachfahren des Breslauer Fabrikanten suchen das Werk seit Jahren, man hatte schon länger den Verdacht, es sei im Besitz der Familie Gurlitt.

Aber auch zu einer anderen Familie führt eine Spur: Mehr als die Hälfte der jetzt gezeigten Arbeiten – darunter Otto Griebels „Kind am Tisch“, Conrad Felixmüllers „Paar in Landschaft“ und Wilhelm Lachnits „Mädchen am Tisch“ – stammen vermutlich aus der Sammlung von Fritz Salo Glaser. Er hat, wie in Sabine Rudolphs 2007 erschienenem Buch „Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz“ nachzulesen ist, in den 1920er- und 1930er-Jahren eine beachtliche Sammlung expressionistischer Werke zusammengetragen, darunter etliche Arbeiten vom „Blauen Reiter“, viele Werke der Künstler rund um die Dresdner „Brücke“. An Glasers Schicksal lässt sich gut aufzeigen, wie vertrackt die Sache mit der Raubkunst ist. Fritz Salo Glaser war ein jüdischer Anwalt in Dresden, der mit einer „christlich-arischen“ Frau verheiratet war und als Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs zunächst teilweise vor Repressalien geschützt war. 1933 wurde ihm trotzdem die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen: Er habe für den Kommunismus geworben. Begründet wurde der Vorwurf mit einem Vortrag, den Glaser mehr als zehn Jahre früher gehalten hatte. Titel: „Kommunismus und kultureller Fortschritt“.

In der Folge musste sich der mit Berufsverbot belegte Glaser sukzessive von seiner Sammlung trennen, um seine Familie zu ernähren. Was noch schwerer wurde, weil die von Glaser bevorzugt gesammelten Künstler von den Nazis verfemt wurden: Die große Ausstellung „Entartete Kunst“ ließ die Preise sinken. Später kam noch ein Entäußerungsverbot hinzu, Glaser musste illegal verkaufen: Für sechs Gemälde – darunter Werke von Kandinsky, Klee, Nolde und Schmidt-Rottluff – erhielt er 8000 RM. Mit dem Erlös zahlte er die ihm auferlegte Judenvermögensabgabe.

13 der 25 Arbeiten auf der Lost-Art-Liste stammen also möglicherweise aus der Sammlung Glaser. Wann und unter welchen Voraussetzungen sie verkauft wurden, muss erst eruiert werden. Andere Werke stammen aus Riga (eine Allegorie von Chagall) oder aus Paris (eine „Sitzende Frau“ von Matisse). Zwei hübsche Arbeiten von Otto Dix sind ebenfalls darunter, eine „Dompteuse“ und eine „Dame in der Loge“.

Die Erforschung wird Jahre dauern

Von den beschlagnahmten Arbeiten sind über 400 unbedenklich. 970 müssen überprüft werden, darunter sind 380 Werke, die von den Nazis im Rahmen der „Aktion entartete Kunst“ konfisziert wurden. Hildebrand Gurlitt hat solche Werke erworben. „Die Verkäufe ,entarteter Kunst‘ aus deutschen Museen zwecks Devisenbeschaffung sind rechtmäßig, die namhaftesten amerikanischen Museen vom Moma auf- und abwärts haben diese Bilder erworben und sind stolz darauf, und offenbar denkt niemand mehr daran, dass damit die Kriegskasse der Nazis gefüllt wurde“, so die Kunsthistorikerin Sophie Lillie.

Bleiben 590 Werke, die noch untersucht werden müssen. Die Arbeit der Provenienzforscher, so Lillie, kann Jahre dauern.

FAMILIE GURLITTS KUNSTSCHATZ

Hildebrand Gurlitt (1895–1956). Sein Vater war Kunsthistoriker, der Großvater Landschaftsmaler, der Cousin, Wolfgang Gurlitt (1888–1965), ebenfalls Sammler, Galerist und Kunsthändler. Hildebrand und Wolfgang Gurlitt waren u.a. mit der Beschaffung von Bildern für Hitlers „Führermuseum“ in Linz beauftragt. Wolfgang Gurlitt, der mit Malern wie Kubin oder Kokoschka befreundet war, verkaufte 1953 76 Ölgemälde und 33 Grafiken an die Neue Galerie der Stadt Linz, um einige gab es später Kontroversen sowie Restitutionsforderungen nach 1945. Cornelius Gurlitt, bei dem der Kunstschatz mit 1400 Bildern gefunden wurde, ist Hildebrand Gurlitts Sohn. Sein Vater hat auch privat klassische Moderne gesammelt. 1956 wurden Stücke aus Hildebrand Gurlitts Sammlung in New York und San Francisco ausgestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

GERMANY ARTS
Kunst

Fall Gurlitt: "Freiwillig gebe ich nichts zurück"

Er habe der Staatsanwaltschaft bereits etliche Belege geliefert, die ihn von jedem Verdacht entlasteten, sagt der Kunsthändlersohn.
Wilhelm Lachnit: ''Mann und Frau im Fenster'' (1923)
Kunst

Gurlitt ein Fall für den österreichischen Fiskus?

Der Kunstsammler, bei dem Raubkunst gefunden wurde, soll in Österreich Steuern bezahlt haben. Die Augsburger Anklagebehörde verteidigt die Steuerermittlungen.
Kunst

Gurlitt will nichts zurückgeben

Cornelius Gurlitt redet mit dem "Spiegel": Alles werde "falsch dargestellt".
Mitreden

Operation Gurlitt: Eine Posse mit „Glücksgefühlen“

Im Rechtsstaat Deutschland reicht offenbar die Auffälligkeit bei einer Routine-Zollkontrolle aus, um die Existenz eines bis dahin unbescholtenen Bürgers zu vernichten. Die Behörden haben sich von einer vernünftigen Lösung inzwischen meilenweit entfernt.
GERMANY NAZI LOOTED ART
Kunst

Behörden wollen Einigung mit Cornelius Gurlitt

Fast zwei Wochen nach dem Fund des Kunstschatzes kommt Bewegung in den Fall. Auch eine Gesetzesänderung zur NS-Raubkunst ist im Gespräch.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.