Deutschen-Bashing: Der Streber macht sich immer unbeliebt

Die in der EU immer lauter werdende Forderung, die deutsche Exportwirtschaft einzubremsen, ist an Dummheit nur schwer zu überbieten.

In vielen mäßig erfolgreichen Unternehmen und Amtsstuben läuft das so: Wer deutlich mehr leistet als der Rest und die anderen damit alt aussehen lässt, macht sich als Streber unbeliebt. In der EU ist das nicht anders: Deutschland ist gerade dabei, für seinen (wirklich enormen) Leistungsbilanzüberschuss von sieben Prozent des BIPs eine (freilich sanktionslose) Rüge der EU-Kommission einzuheimsen. „Erlaubt“ sind maximal sechs Prozent.

Die Brüsseler Bürokraten liegen damit voll auf der Linie des linken Ökonomen-Mainstreams, der Deutschland schon lange auf dem Kieker hat. Die Argumentationslinie läuft ungefähr so: Deutschland pumpt seine Produkte mithilfe von Dumpinglöhnen zu billig in die Märkte und drückt damit die Konkurrenz unfair an die Wand. Denn die mit Hungerlöhnen abgespeisten Deutschen können umgekehrt viel zu wenig importierte Waren kaufen.

Das Rezept: kräftige Lohnerhöhungen in Deutschland, die den Inlandskonsum ankurbeln und den Exportdruck abschwächen. Das Ganze lässt sich natürlich wunderschön mit ökonomischen Theorien unterfüttern: Der Überschuss des einen ist das Defizit des anderen. Wenn sich die Deutschen einbremsen, werden Griechen, Spanier und Italiener gewinnen.

Völlig klar: Wenn Mercedes, BMW und Audi ihre Billigautos endlich deutlich teurer machen, dann werden die Konsumenten wohl zum griechischen – ja, wozu eigentlich? – greifen. Und wenn die deutschen Industriearbeiter endlich ordentlich bezahlt werden, dann werden sie sich auch die Ultra-HD-Fernseher aus – ja, aus welchem südeuropäischen Land eigentlich? – leisten können.

Jetzt einmal im Ernst: Das modern gewordene Deutschen-Bashing fußt auf so unglaublich idiotischen Argumenten, dass einem der Atem stockt. Kommen wir also zu den Fakten.

Deutschland hat tatsächlich einen Billiglohnsektor, dieser exportiert aber nichts. Die Industriearbeiterlöhne gehören zu den höchsten der Welt. Allein die jüngste Gewinnbeteiligung bei Audi – im Schnitt 8000 Euro – machte so viel aus, wie ein griechischer Arbeiter im Jahr verdient. Deutsche Maschinen und Autos (die Hauptexportschlager) werden nicht wegen, sondern trotz ihres Preises gekauft. Das spricht natürlich noch nicht gegen weitere Lohnerhöhungen. Ein höherer Inlandskonsum in Deutschland wird aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht südeuropäischen Olivenbauern, sondern koreanischen und chinesischen Konsumgüterherstellern zugutekommen.

Womit wir schon beim Hauptdenkfehler der Ungleichgewichtstheorie sind: Diese würde wunderbar stimmen, wenn die Welt an den Außengrenzen der Eurozone aufhört. Tut sie aber nicht: Die Hauptkonkurrenten der Deutschen sitzen nicht in Patras, Messina oder Sevilla, sondern in Seoul, Shanghai, Detroit und im Silicon Valley. Dort würden auch die Profiteure dieser genialen EU-Strategie zu finden sein. Wenn man der Lokomotive Bremsklötze vor die Räder wirft, wackeln die hinteren Waggons vielleicht ein bisschen weniger, aber leider wird der ganze Zug überholt.

Ganz nebenbei: In den deutschen Industrieexporten stecken fast 50 Prozent Zulieferungen aus den umliegenden Euroländern. Wirklich schlüssig, mutwillig den Export der halben Eurozone abzudrehen.


Vielleicht würde es helfen, den größten Denkfehler dieser Vorgangsweise einmal zu beleuchten: Die EU unterhält, sagt man uns zumindest, einen Binnenmarkt. Warenlieferungen innerhalb eines Binnenmarkts als Exporte und Importe zu bezeichnen, wie das geschieht, ist eine ziemlich abstruse Idee. Genauso gut könnte man Leistungsbilanzungleichgewichte innerhalb der österreichischen Bundesländer berechnen – und dann die Oberösterreicher auffordern, ein bisschen nachzulassen, um nicht das Gleichgewicht zu gefährden.

Wenn es den Binnenmarkt gibt – dann ist Deutschland erstens nicht Exportweltmeister (weil gut die Hälfte der Exporte keine sind). Und sollte zweitens nicht gebremst, sondern unterstützt werden. Außer natürlich, die Eurozone (und danach sieht es leider aus) will sich selbst aus dem globalen Spiel nehmen.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2013)

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