Gurlitt: Kunst lagerte „sicher nicht in Messie-Haushalt“

Bernhard Kretschmar
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Provenienzforscherin Vanessa Voigt war in Gurlitts Wohnung mit dabei. Zollbeamte hatten Voigt und eine Kollegin beigezogen

Für eine Kunsthistorikerin, deren Spezialgebiet der Kunsthandel in der NS-Zeit ist, war diese Begegnung fast irreal: Im Februar 2011 aber stand die Münchner Provenienzforscherin Vanessa Voigt plötzlich der Person gegenüber, derer sie nie habhaft werden konnte, Cornelius Gurlitt, Sohn einer der ambivalentesten Persönlichkeiten des NS-Kunsthandels, Hildebrand Gurlitt. Zollbeamte hatten Voigt und eine Kollegin beigezogen, als sie die Münchner Wohnung Gurlitts durchsuchten. Der 89-Jährige sei unter Schock gestanden, erzählt Voigt, habe nicht reagiert, als sie ihm erklärte, wer sie sei. Dann fand man die Bilder, die Voigt allerdings nicht berührte, sie erkannte, dass erst Restauratoren die Bedingungen klären müssten.

Jedenfalls stellt Voigt klar: Es habe sich nicht um einen Messie-Haushalt gehandelt, als der die Wohnung in deutschen Medien diffamiert wurde. Es sei eine völlig normale Wohnung gewesen.

Lentos vermutet Klimts bei Gurlitt

Voigt, deren Dissertation „Kunsthändler und Sammler der Moderne im Nationalsozialismus. Die Sammlung Sprengel 1934 bis 1945“ 2007 veröffentlicht wurde, ist u.a. auch Provenienzforscherin des heutigen Lentos-Museums Linz, nach dem Krieg von Wolfgang Gurlitt, dem Cousin von Hildebrand, maßgeblich geprägt. Der Händler und Sammler, der ebenfalls vom NS-Regime profitiert hatte, war Gründungsdirektor der Neuen Galerie Linz, der er Teile seiner Sammlung verkaufte. Obwohl die dunkle Provenienz mancher Werke den Stadtbeamten bekannt war.

Seit 2004 arbeitet Voigt den Gemäldebestand des Museums auf, 40Prozent habe sie mittlerweile geschafft; 111 Gemälde und 460 Grafiken der Lentos-Sammlung stammen aus dem Besitz Wolfgang Gurlitts. Zehn dieser Werke hat das Lentos bisher restituiert, darunter Klimts Porträt der Ria Munk. Im „Spiegel“ gab Lentos-Direktorin Stella Rollig jetzt bekannt, dass man Einsicht in die entdeckte Gurlitt-Sammlung fordere, in der sich vier aus der Sammlung der Neuen Galerie verschwundene Werke Klimts und Schieles befinden könnten. Zwar wären bisher keine Geschäftsbeziehungen zwischen den Cousins bekannt, sagt Voigt, aber ausgeschlossen sei das nicht. Wolfgang Gurlitt war 1956 u.a. deshalb seines Amts enthoben worden, weil er seine Rollen als Händler und Direktor nicht auseinandergehalten hatte. (sp)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2013)

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