Der Tod von Kennedy: Als in Wien die Musik ausging

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Die Nachricht vom Attentat löst in Österreich Fassungslosigkeit aus. Zeitzeugen erinnern sich an eine gespenstische Freitagnacht.

Und dann schweigen die Instrumente. Ein Sprecher der Wiener Symphoniker tritt vor die verdutzten Zuhörer im Musikvereinsgebäude. Es habe ein Attentat auf Kennedy gegeben. Abbruch des Konzerts! In der nahen Staatsoper wird das Publikum gebeten, auf Beifall für die Darbietung der Wagner-Oper „Die Walküre“ zu verzichten.

Am Freitag, 22. November 1963, um 20.32 Uhr, versandte die Nachrichtenagentur APA eine Nachricht von höchster Priorität. Blitzmeldung nennt sich das. Und diese Nachricht schlägt auch ein wie ein Blitz – obwohl sie nur zwei Wörter umfasst: „Kennedy tot.“ Nicht nur Dallas und die USA stehen unter Schock. Auch Wien. Die „Presse“-Berichte zeugen von einer gespenstischen, beklemmenden Nacht: Bars und Lokale leeren sich schlagartig. Vor der US-Botschaft setzt sich ein Schweigemarsch in Bewegung. Der ORF spielt Mozarts „Requiem“ – und dann drei Minuten lang nichts. Funkstille im Gedenken an „JFK“. Und auch am Wochenende wolle der Rundfunk statt Schlager nur ernste Musik spielen, schreibt „Die Presse“ damals.

Es ist ein Abend, der sich den Zeitzeugen für immer ins Gedächtnis einprägt – wie späteren Generationen die 9/11-Anschläge. Adelheid Scheidl liegt bereits im Bett, liest ein Buch. Fernsehen ist der Elfjährigen an diesem Abend (zunächst) untersagt – Samstag ist Schule. Doch durch die Zimmertür vernimmt sie das Tonsignal der „Zeit im Bild“. Es ist eine Sondersendung. „Mein Vater kam hereingestürmt und sagte: ,Es ist etwas Schreckliches passiert.‘“ Die Familie sieht dann die Nachrichten über das Attentat eintröpfeln. Auch der Nachbar kommt. Im Ort haben damals nur drei, vier Familien ein TV-Gerät; Loosdorf im Weinviertel ist nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt und damit von den Warschauer-Pakt-Staaten, ja dem Ende der „freien Welt“.

Am 3. und 4. Juni 1961 war Wien die Bühne vor diesem Eisernen Vorhang. Die Anführer der Supermächte des Kalten Kriegs, Sowjetchef Nikita Chruschtschow und eben Kennedy, trafen sich hier zum ersten (und einzigen) Mal. Auch deshalb liebten die Wiener diesen jungen US-Präsidenten und seine Göttergattin Jackie: Sie waren da, in Wien! Und Scheidls Familie säumte mit anderen Schaulustigen die Ringstraße. „Ich erinnere mich noch, wie dann die Kolonne vorbeifuhr und riesiger Jubel ausbrach.“

Eine Persönlichkeit. In einem dieser Fahrzeuge saß Martha Kyrle. Sie war während des Gipfels Österreichs „First Lady“ – weil ihr Vater und Bundespräsident Adolf Schärf verwitwet war und das Protokoll es verlangte. „Freundlich und eine Persönlichkeit“ sei dieser Kennedy gewesen, erinnert sich die heute 96-Jährige. Doch der Feschak war bereits halber Invalide. Kyrle merkt anfangs nichts von dem schweren Rückenleiden. „Mein Vater machte mich aber darauf aufmerksam, dass Kennedy schon bei der Ankunft am Flughafen beim Aussteigen Schwierigkeiten hatte.“ Zweieinhalb Jahre nach dem Gipfel wird ihr Vater den USA kondolieren. „Österreichs Volk fühle sich in dieser Stunde mit dem amerikanischen eng verbunden“, schreibt Schärf in der Todesnacht an Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson.

Jenseits des Atlantiks klingelt indes das Telefon von Herbert Grubmayr. Seine Frau ist dran. Sie habe im Radio vom Attentat gehört. Grubmayr ist Geschäftsführer der Botschaft in Mexiko. Was tun? Der Diplomat hat Kennedy ein Jahr zuvor während dessen Mexiko-Besuchs die Hand geschüttelt. Damals beehrte „El maximo Gringo“, wie die Mexikaner abwertend wie aufgeregt erklärten, erstmals Mexikos Hauptstadt. Grubmayr fährt also zu seinem US-Kollegen und kondoliert. Doch aus dessen Gesicht spricht nur Gleichgültigkeit. „Er hat mir ein Telegramm gezeigt auf dem stand: ,Kennedy deceased (Kennedy verschieden)‘. Man hat gesehen, dass er keiner seiner Anhänger war.“

Eines seiner letzten Telegramme soll Kennedy an Wien gerichtet haben, genauer an den „lieben Dr. Drimmel“, damals Unterrichtsminister. Es ist ein allgemeiner Text über das Wirken von Abraham Lincoln. Denn im Burgtheater findet zwei Tage nach Kennedys Tod eine Matinee anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums von Lincolns „Gettysburg Address“ statt. Die Feier ist dann „von untheatralischer Würde und schlichter Weihe“, wie „Die Presse“ lobt. Nur für den ORF setzt es Schelte: „Im Rundfunk nahm man die Dinge nicht mehr ganz so genau: Es folgte eine Schlagersendung auf die andere ...“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2013)

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