Erdogan-Berater: "Die Türkei will imperial sein"

Yigit Bulut ist Chefberater des türksichen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Yigit Bulut ist Chefberater des türksichen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan.(c) Die Presse (Özkan)
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Yigit Bulut, Chefberater des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, fordert die EU auf, zum eigenen Wohl ihre Positionen zur Türkei zu überdenken.

Sie sagen, dass die europäischen Medien Ihnen nicht wohlgesinnt sind. Warum?
Seit ich Chefberater des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan bin, sind in österreichischen und vor allem deutschen Medien Berichte über mich mit unwahren Behauptungen erschienen. Ich soll etwa gesagt haben, dass Gegner des Ministerpräsidenten ihn mit Telekinese umbringen wollen. Ich bin kein Politiker, ich bin kein Parteimitglied, sondern nur Bürokrat. Und dann erscheint im "Spiegel" ein merkwürdiger Artikel über mich. Ich verstehe das nicht.

Sie sehen sich als Opfer europäischer Medien?
Es gibt auch in der Türkei eine Bewegung in den Medien gegen die Regierung. Egal, was der Ministerpräsident macht, die türkische Presse wettert dagegen. Vor zehn Jahren war die Wirtschaftskraft von Österreich und Türkei nahezu gleich, jetzt ist die Türkei doppelt so stark. Die Türkei ist das einzige Land, das die Maastricht-Kriterien erfüllt. Der Schuldenstand liegt bei 30 Prozent, in europäischen Ländern sind es bisweilen 100 Prozent. Die türkische Presse schreibt diese Sachen nicht, sondern greift den Ministerpräsidenten an. Die Politik gegenüber Kurden verändert sich in der Türkei, aber die türkische Presse gießt Öl ins Feuer. Es gibt eine Bewegung in den Medien, um der Türkei zu schaden.

Woher kommt Ihrer Meinung nach die negative Berichterstattung?
Die Presse hat noch dieses Untergangsbild des Osmanischen Reiches. Aber die Weltordnung und die Stellung der Türkei hat sich verändert. Unser Ministerpräsident akzeptiert keinen Druck, er wird seinen Weg weitergehen. Deutschland und die EU müssen wissen, dass es die alte Türkei nicht mehr gibt, die kontrolliert und manipuliert werden kann. Der Ministerpräsident hat vergangene Woche gesagt, dass die EU keine Behörde ist, die der Türkei etwas sagen kann. Es gibt den Kranken Mann am Bosporus nicht mehr.

Der Kranke Mann ist seit hundert Jahren Geschichte.
Vor zehn Jahren war davon aber noch die Rede. Das türkische Bruttoinlandsprodukt ist in zehn Jahren von 200 Milliarden Dollar auf fast eine Billion gewaschen, während Europa stagniert. Unser Ziel für 2023 ist, dass wir auf bis zu 2,5 Billionen Dollar wachsen. Das heißt, dass in Europa nur mehr Deutschland mit der Türkei wettbewerbsfähig ist. Auch die Einwohnerzahl der Türkei wird wachsen. Wenn wir jetzt 80 Millionen sind, können es in zehn Jahren 100 Millionen sein. Diese Kraft der Türkei dürfte Europa nicht gefallen.

Wie EU-müde ist die Türkei?
Die EU sollte die Position der Türkei nochmal überdenken, für das eigene Wohl.

Für das Wohl der EU? Warum?
Gerade wird eine neue Weltordnung geschaffen. Länder wie Indien, China und Japan wachsen, Europa verliert an Macht. Und damit Europa wieder an Macht gewinnt, benötigt es die Ressourcen der Türkei - etwa Energie oder Arbeitskraft. Europa darf nicht emotional auf die Türkei blicken, sondern berechnend. Es fehlt nicht mehr viel, bis die Türkei sich von der EU abwendet.

In der von mehrheitlich Kurden bewohnten Stadt Diyarbakir wurde kürzlich ein Schild entfernt, auf dem zu lesen war: "Glücklich der, der sich Türke nennt". Der seit Jahren im Exil lebende kurdische Musiker Sivan Perwer war am Wochenende erstmals in der Türkei und hat ein Konzert gegeben. Ist das Kurdenproblem für Sie endgültig vom Tisch?
Wir haben in der Türkei kein Kurdenproblem, und damit sage ich nicht, dass unsere kurdischen Staatsbürger keine Probleme haben, da gibt es noch einiges zu tun. Aber wir haben große Schritte gemacht. Heute sind in der Türkei alle gleiche Staatsbürger, egal, welchen ethnischen Hintergrund sie haben. In der Vergangenheit wurde die Kurdenpolitik nicht von Politikern, sondern von den Militärs geleitet. Das hat sich vor zehn Jahren geändert. Die neue Türkei entwickelt sich zu einem Wohlstandsstaat. In diesem Staat ist der ethnische Hintergrund unwichtig. Und während die Türkei die ethnische Frage geklärt hat, rückt Europa immer weiter nach rechts. Das ist besorgniserregend.

Ist das die Neue Türkei, von der die AKP gerne redet?
Der Ministerpräsident hat kürzlich von einer Neuen Großen Türkei gesprochen. Wir wollen imperial, aber nicht imperialistisch sein. Nach dem Zusammenbruch der Monarchien wurden die Nationalstaaten gegründet. Nun weichen die Nationalstaaten den großen Machtkonstellationen und -achsen. Die Türkei ist eine dieser Mächte.

Erdogan hat in Diyarbakir den kurdisch-irakischen Politiker Masud Barzani getroffen. Ist das Treffen eine Maßnahme, um in der Türkei kurdische Parteien wie BDP oder PKK an den Rand zu drängen?
Dass Barzani in die Türkei kommt, ist wichtig für die Energiepolitik. Die Türkei stützt sich auf drei Energiesäulen: neue Atomkraftwerke, das Anzapfen der Energiereservate am Kaspischen Meer - und nun im Norden Iraks. Für diese Region bedeutet das, dass es sich der Welt über die Türkei öffnet.

Für die Gasversorgung ist es aber auch wichtig, dass an der Grenze Ruhe herrscht. Der Friedensprozess mit der PKK scheint aber zu stocken.
Das glaube ich nicht. Letztlich hat die PKK mit dem Rückzug begonnen. Wenn es Armut gibt, gibt es Terror. Nun ändern sich die ökonomischen Umstände, es gibt Geld, daher wird es diesen Terror nicht mehr geben.

Der Friedensprozess muss trotzdem mit der PKK durchgeführt werden.

Wenn die Leute keine Probleme mehr haben, werden sie auch nicht zur PKK gehen. Daher ist Wohlstand wichtig. Kurden stehen heute alle Wege offen. Ab jetzt wird es keine Teilung der Türkei geben - in keiner Hinsicht. Ab jetzt werden alle auf die Türkei zukommen. Beispiel: Auf Zypern wollten früher alle Türken die griechische Staatsbürgerschaft. Heute ist es umgekehrt.

In den vergangenen Tagen hat eine Aussage Erdogans auch innerhalb der AKP für Furore gesorgt, es ging um nach Geschlecht getrennte Studentenwohnheime. Wie gespalten ist die AKP eigentlich?
Die AKP kann nicht geteilt werden. In der türkischen Presse wird immer dieses Szenario heraufbeschwört, es stimmt alles aber nicht. In den letzten zehn Jahren hat die AKP viel durchgemacht, etwa vier Putschversuche. Auch der Verfassungsgerichtshof wollte die Partei verbieten. Eine Teilung der Partei hat trotzdem nie stattgefunden.

Die Aussage hat trotzdem in Teilen der türkischen Gesellschaft für Unruhe gesorgt. Und wenn wir an die Demonstranten rund um den Gezi-Park denken: Unterschätzt man die oppositionellen Gruppen in der Türkei?
Fragen sie die Frage nach den Studentenwohnheimen eine katholischen Familie in Frankreich, oder eine Familie in den USA oder Kanada: alle werden ihnen sagen, dass das Kindeswohl an erster Stelle steht. Das, was der Ministerpräsident gesagt hat, wurde von den Medien hochgeschaukelt. Der Staat kann keinem über 18 vorschreiben, was er zu tun hat. Aber für diejenigen unter 18 hat der Staat eine Verantwortung.

ZUR PERSON

Der Finanzanalyst Yigit Bulut, Jahrgang 1972, ist seit Juli Chefberater des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Zuvor war er als Medienmanager und Kolumnist tätig. In einem Interview soll Bulut laut Medienberichten gesagt haben, dass Gegner Erdogans diesen mit Telekinese lenken und töten wollten. Er selbst streitet diese Aussagen ab. Bulut stammt aus einer rechtsliberalen Familie, sein Vater war Politiker der Adalet Partisi (Gerechtigkeitspartei) von Süleyman Demirel. Erst später wurde er Fürsprecher der regierenden AKP. Parteimitglied sei er aber nicht. Bulut war auf Einladung der „Union of European Turkish Democrats“ (UETD) in Wien.

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