Janukowitsch: Ukraine von Europa enttäuscht

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Der ukrainische Präsident attestiert der EU Fehleinschätzungen. Oppositionsführerin Julia Timoschenko bot an, in Haft zu bleiben, falls damit das EU-Abkommen des Landes gerettet werden könne.

Heinz Fischer war bass erstaunt über die jüngste Volte in Kiew. Am Donnerstagabend erläuterte der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch seinem Gastgeber bei einem zweiten Gespräch in der Wiener Hofburg, warum sich die Ukraine plötzlich entschlossen hatte, die lange geplante EU-Assoziierung auf Eis zu legen.

Laut Präsidentschaftskanzlei ließ Janukowitsch im Rahmen eines vierstündigen Gesprächs mit dem Bundespräsidenten, das im Rahmen des Wien-Besuchs Janukowitsch' zunächst gar nicht vorgesehen war, "untermauert durch viele Beispiele erkennen, dass die Ukraine von Europa in vielen Fällen enttäuscht wurde und dass die EU Sachverhalte falsch eingeschätzt habe". Janukowitsch betonte, dass die EU-Perspektive für die Ukraine "langfristig wichtig" bleibe.

Janukowitsch und Fischer hatten am Donnerstag ein Arbeitsgespräch absolviert, eine Pressekonferenz gegeben und ein österreichisch-ukrainisches Wirtschaftsforum eröffnet, während aus Kiew die Nachricht von der Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens kam. Stattdessen will sich die Ukraine nun offenbar wieder näher Russland zuwenden. Dessen Präsident Wladimir Putin warf der EU am Freitag vor, Kiew wegen des Assoziierungsabkommens erpresst zu haben.

Massiver wirtschaftlicher Druck Moskaus

Laut dem ukrainischen Premier Mikula Asarow war es allerdings russischer Druck, der zu der überraschenden Entscheidung geführt hatte: Es handle sich allein um einen taktischen Schritt, um eine wirtschaftliche Notwendigkeit, erklärte Asarow. "Die Entscheidung, das Abkommen mit der EU auszusetzen, war schwierig, aber die einzige mögliche. Sie war ausschließlich von wirtschaftlichen Gründen diktiert."

Russland ist der wichtigste Gaslieferant und größte Handelspartner, Moskau hat bereits mehrmals den Gashahn abgedreht. Moskau hatte Kiew wiederholt vor einer Hinwendung zum Westen gewarnt und mit ökonomischen Sanktionen gedroht.

Timoschenko will auf Ausreise verzichten

In der Ukraine regte sich derweil Protest gegen die Abkehr von Europa. Noch am Donnerstagabend hatten 2000 Menschen gegen den Schwenk Richtung Moskau protestiert. Am Freitag rief die inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko zu weiteren Protesten auf: "Ich appelliere an alle Menschen so zu reagieren, wie sie auf einen Staatsstreich reagieren würden: Geht hinaus auf die Straße", hieß es in einem Brief Timoschenkos, der von ihrem Anwalt Serhiy Vlasenko verlesen wurde.

Sie selbst bot an, in Haft zu bleiben und auf die Ausreise zu verzichten, um das Abkommen mit der EU doch noch zu retten. Brüssel hatte gefordert, dass Kiew Timoschenko freilassen oder der erkrankten Politikerin zumindest die Ausreise zwecks medizinischer Behandlung ermöglichen müsse.

Berlin: "Tür für Ukraine bleibt offen"

In der EU versuchte man sich derweil, nach der Volte Janukowitsch neu zu sortieren. Deutschland sei weiterhin zur Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens bereit, hieß es aus Berlin: "Die Tür für einen solchen Schritt Richtung EU bleibt offen", sagte ein Regierungssprecher. Polens Außenminister Radek Sikorski, der das Abkommen mit der Ukraine sehr forciert hatte, sprach infolge der Abwendung Kiews von Euroap von "unumkehrbaren Verlusten" für den Reformprozess der Ukraine: "Die Verantwortung trägt ausschließlich die ukrainische Führung.

Aus dem Umfeld der litauischen Präsidenten Dalia Grybauskaite hieß es, Kiew sei vor Russland eingeknickt: "Die Ukraine hat dem wirtschaftlichen Druck und der Erpressung nicht widerstanden."

(APA/REUTERS)

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