Interview

Unito-Chef Gutschi: „Denen die arbeiten, sollte man die Inflation voll abgelten“

„Wenn ich als Händler ein Geschäftsmodell habe, das nur wegen staatlicher Zuschüsse funktioniert, dann ist das auf Dauer nicht nachhaltig“, sagt Harald Gutschi, Chef von Österreichs größtem Onlinehändler.
„Wenn ich als Händler ein Geschäftsmodell habe, das nur wegen staatlicher Zuschüsse funktioniert, dann ist das auf Dauer nicht nachhaltig“, sagt Harald Gutschi, Chef von Österreichs größtem Onlinehändler.APA / Simon Möstl
  • Drucken

Die Kaufkraft müsse unbedingt erhalten werden, sagt Unito-Chef Harald Gutschi. Über das Händlersterben als „nötige“ Marktbereinigung, „kommunistische Debatten“ und die Aussicht auf baldige Besserung.

Die Presse: Sie haben im April gesagt, dass nach dem Sommer die Preise im Handel deutlich sinken würden. Davon ist heute noch wenig zu sehen.

Harald Gutschi: Bei uns schon. Wir zahlen für unsere Produkte aus China aktuell zehn bis zwanzig Prozent weniger als vor einem Jahr. Die Produktions- aber vor allem auch die Transportkosten sind wieder deutlich zurückgegangen. Ein Frachtcontainer kostet jetzt etwa nur noch ein Zehntel von den Preisen während Pandemie. Unsere Bezugsquellen sind also insgesamt deutlich günstiger als vor einem Jahr. Das gilt auch für die allermeisten anderen Händler.

Das heißt, der Handel müsste die Inflation in den nächsten Monaten kräftig nach unten drücken.

Wenn wir über den Non-Food-Handel sprechen, dann ja. Die Erzeugerpreise sinken bereits in vielen europäischen Ländern signifikant. Auch die Energiepreise haben sich wieder beruhigt. Natürlich können wir die gesunkenen Kosten aber nicht voll eins zu eins weitergeben. Vor allem bei den Personal- und Mietkosten gibt es noch immer starke Kostenauftriebe. Die zuletzt hohen Inflationsraten führten zudem zu einer enormen Kaufzurückhaltung, was vielen Händlern zum Verhängnis geworden ist.

Namhafte Insolvenzen sind die Konsequenz. Andere Händler kommen gerade so irgendwie durch. Brauchen sie die höheren Margen jetzt, um angeschlagene Reserven wieder aufzustocken?

Alleine seit Ende Juni gab es im Handel 20 Insolvenzen. Das ist eine besorgniserregende Dynamik, die habe ich in meiner 30-jährigen Handelskarriere noch nicht erlebt. Und es wird weiterhin einige Händler geben, die trotz niedriger Einstandskosten nicht über die Runden kommen. Andere brauchen die höheren Margen jetzt, um nicht noch mehr Verluste zu machen und irgendwie wieder profitabel zu werden. Sie sitzen teils auf vollen Warenlagern, die sie abwerten müssen, dazu kommen gestiegene Bankkredite.

Auch bei Unito sind die Umsätze vergangenes Jahr um acht Prozent zurückgegangen.

Im ersten Quartal 2023 lag unser Umsatz sogar zehn Prozent unter dem Vorjahr. Das verrückte ist, dass wir trotz rückläufiger Umsätze zuletzt aber Marktanteile gewonnen haben. Der eCommerce-Markt ist in Österreich Jahr für Jahr fünf bis zehn Prozent gewachsen. Nach Corona brach der Markt auf einmal zweistellig ein. Seit Juni erkennen wir aber eine ganz klare Trendumkehr. Wir erwarten uns jetzt für den Herbst und für 2024 wieder ordentliche Wachstumsquoten von fünf bis zehn Prozent. Der wichtigste Indikator dafür ist, dass die Reallöhne wieder steigen. Wenn die Leute wieder mehr Geld zur Verfügung haben, konsumieren sie auch wieder mehr. Ich prophezeie: Die Krise im Handel ist im November wieder vorbei, zumindest im Onlinehandel.

Dass die Kaufkraft halbwegs erhalten geblieben ist, liegt v.a. an den hohen Lohnabschlüssen. Aus Unternehmersicht waren die aber schmerzhaft. Viele Betriebe fürchten sich vor den nächsten Lohnerhöhungen.

Im Handel sind die Löhne über sieben Prozent gestiegen. Natürlich tut das vielen Händlern weh. Ich bin aber dafür, dass man für die Menschen die arbeiten, die Inflation voll abgilt. Und so soll es auch nächstes Jahr sein. Es kann nicht sein, dass die Pensionisten zehn Prozent mehr kriegen, aber die Arbeitenden nicht. Aus meiner Sicht müssen wir alles tun, damit die Kaufkraft erhalten bleibt. Für uns bedeuten die Gehaltssteigerungen aber auch, dass wir weiter auf Automatisierung setzen müssen. Wir haben letztes Jahr Fluktuation genutzt und unseren Personalstand um knapp 50 Leute reduziert. Gerade in der Verwaltung kann man durch KI mehr automatisieren. Wir müssen das machen, sonst wird es schwierig, ein profitables Geschäft zu machen.

Als Ausgangsbasis für die im Herbst beginnenden Lohnrunden dient die rollierende Inflation, die derzeit bei 9,6 Prozent liegt. Als Onlinehändler sind Sie ja in einer privilegierten Situation, weil Sie nicht so hohe Personalkosten haben wie der personalintensive stationäre Handel. Aber wie sollen sich Händler, die jetzt schon am Anschlag sind, derartige Lohnerhöhungen leisten können?

Auch wir haben eine personalintensive Zustellung, wo über externe Dienstleister hohe Kosten aufschlagen. Aber ja, vielleicht haben wir einen geringen Vorteil, weil wir etwas mehr automatisieren können. Ich bin jedenfalls der Meinung, dass die die arbeiten, auch entsprechend entlohnt werden sollen. Wer sagt, dass das zu 100 Prozent die Unternehmen tragen müssen? Man kann einerseits über Einmalzahlungen reden. Aber sollte auch darüber diskutieren, dass zwei Drittel der Lohnerhöhungen die Unternehmen tragen und der Rest über den Kalte Progressions-Ausgleich in Form einer Senkung der Lohnnebenkosten finanziert wird. Dass die Regierung die Kalte Progression abgeschafft hat, war jedenfalls ein wichtiger struktureller Fortschritt, den man mitberücksichtigen sollte.

Einerseits wurde die Bundesregierung für ihre Markteingriffe zuletzt stark kritisiert. Anderen ist das noch nicht genug.

Wir führen ja mittlerweile ein kommunistische Diskussionen, wenn ständig gefordert wird, dass die Regierung in die Preisgestaltung eingreifen soll. Das können die gar nicht und da sollte man höllisch aufpassen. Viele tun so, als könnte die Politik alles gestalten. Preise werden aber am Markt gemacht. In vielen Bereichen gibt es enorme Nachholeffekte. Wenn die Leute bereit sind, jetzt 15 Prozent mehr zu zahlen als vor einem Jahr und die Gasthäuser trotzdem voll sind, heißt das, dass der Markt funktioniert. Die Unternehmer wären blöd, wenn sie die Preise nicht anheben.

Viele Unternehmen haben nach Corona laut nach staatlichen Geldern gerufen. Haben sich viele zu sehr auf Vater Staat verlassen, dass der zur Not schon beispringt?

Wir haben uns über Corona ein bisschen daran gewöhnt, dass der Staat eingreift. Der soll aber nur in substanzieller Krise eingreifen, da ist es richtig. Die öffentliche Diskussion läuft, als würden wir noch immer riesige Krisen haben, die haben wir aber nicht mehr. Wenn ich als Händler ein Geschäftsmodell habe, das nur wegen staatlicher Zuschüsse funktioniert, dann ist das auf Dauer nicht nachhaltig. Und auch der Staat muss aufpassen, dass er langfristig seine Finanzstabilität erhalten kann. Wenn dann noch jemand die 32h-Woche fordert bei vollem Lohnausgleich, kann ich nur den Kopf schütteln. Das führt uns in die Armut. Wie man als seriöser Politiker in der aktuellen Situation eine derartige Diskussion starten kann, kann ich nicht nachvollziehen. Das wäre der Abstieg aus der Mittelschicht und der Einstieg in die Armut in Österreich.

Das aktuelle Händlersterben ist so etwas wie eine konstruktive Marktbereinigung. Verstehe ich Sie da richtig?

Wenn es einen zu großen Wettbewerb gibt, dass sich einige am Markt nicht mehr durchsetzen können, kommt es zu Marktbereinigungen. Mir tut jede Person, die ihren Job verliert, Leid. Auch jedes Unternehmen, das es nicht schafft. Aber so funktioniert unsere soziale Marktwirtschaft, auch wenn das ein schmerzhafter Prozess ist. Wenn sowas passiert, wird man zumindest aufgefangen. Und wenn einige den Markt verlassen müssen, werden auch wieder Personalressourcen und Flächen frei. Solche Bereinigungen können nötig und sinnvoll sein. Nur so entwickelt sich eine Volkswirtschaft auf Dauer nach vorne, wird wohlhabender und kann auch nachhaltig sein.

Zur Person

Harald Gutschi (58) ist seit 2007 Chef der Unito-Gruppe. Davor leitete der studierte Betriebswirt die Geschäfte von Neckermann in Österreich und Deutschland.

Unito, Tochter des Versandhandelsriesen Otto, ist Österreichs größter Onlinehändler. 2022 setzte das Unternehmen in Österreich 386 Millionen Euro um, acht Prozent weniger als im Jahr davor.

8,5 Prozent ging der Onlinehandel in Österreich 2022 zurück.

pams Eco Interview Harald Gutschi
pams Eco Interview Harald GutschiUnito/emmanuel Feiner

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.