Showdown in Genf: Ringen um Atomdeal

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Im Atomstreit mit dem Iran kamen auf neutralem Schweizer Boden erneut die Außenminister zusammen, um eine Verhandlungslösung auszutüfteln. Um Spielraum zu gewinnen, könnte auch heute noch weiter debattiert werden.

In Cointrin herrschte am Wochenende wieder einmal Hochbetrieb. Am internationalen Flughafen in Genf landeten am Samstag im Stundentakt die Jets der Außenminister, die zur nächsten Shuttle-Mission im Atomstreit mit dem Iran anreisten. Vor zwei Wochen flogen John Kerry, Laurent Fabius, William Hague, Guido Westerwelle, Sergej Lawrow und Wang Yi mit leeren Händen wieder heim. Ein Durchbruch in dem langlebigen Nuklearkonflikt mit Teheran, der soviel politischen wie militärischen Sprengstoff birgt, schien damals schon in Reichweite, als Frankreichs Außenminister Fabius als erster abwinkte. Hinterher war die Ernüchterung unter den Chefdiplomaten groß, und sogleich begann die Suche nach dem Sündenbock.

Die Iraner wälzten die Schuld am Scheitern der Gespräche auf Laurent Fabius, der auf einen Baustopp des Reaktors Arak beharrte. Die westlichen Delegationen reagierten zwar irritiert über das Vorpreschen des Franzosen, doch sie ließen keinen Keil in ihre Front treiben. Zu viel Zeit und zu viel Engagement hatten sie in die Diplomatie investiert, als dass sie eine Spaltung in den Kernfragen des Nuklearkonflikts hinnehmen wollten. Deshalb waren sie vor dem neuerlichen Anlauf für eine Verhandlungslösung unisono darum bemüht, die Erwartungen zu dämpfen.


Störgeräusche aus Teheran. Ohnehin übertönte in beiden Lagern Störgeräusche die zeitweilige Harmonie in Genf, als Kerry, Lawrow und iranische Außenminister Mohammed Javad Zarif zuweilen zum Scherzen und zu jovialen Gesten zumute war. Ayatollah Ali Khamenei gab zwar wegen der erdrückenden Wirtschaftssanktionen des Westens grünes Licht für die Gespräche, doch konterkarierte er in einer Rede vor den Bassidsch-Milizen – den Hardlinern des Mullah-Regimes – die Charmeoffensive des neuen Präsidenten Hassan Rohani auf allen Kanälen – im Internet und auf Twitter und nicht zuletzt in einem Telefonat mit US-Präsident Barack Obama.

Der oberste Führer des schiitischen Gottesstaats sprach von „roten Linien“: vom Recht des Iran auf Urananreicherung und auf die friedliche Nutzung der Atomenergie. Der „Erzfeind“ USA kam zwar ungeschoren davon, dafür überzog der Ayatollah Israel – den zweiten „Satan“ der Mullahs – mit einer Tirade, die im Gegenzug die Regierung in Jerusalem in helle Aufregung versetzte.

Israels Premier Benjamin Netanjahu hatte in den vergangenen Jahren nichts unversucht gelassen, den Druck auf Teheran zu erhöhen. Mehrmals erging er sich in martialischen Drohungen, und notfalls war er bereit er für einen Präventivschlag gegen das iranische Atomprogramm. Dass Israel das in der Lage ist, bewies es schon einmal mit einem Angriff auf eine syrische Atomanlage. Vor der UNO-Generalversammlung in New York malte Netanjahu im Vorjahr das Menetekel einer Atombombe der Mullahs an die Wand und illustrierte dies mit der Comic-Strip-Zeichnung einer Bombe samt Zündschnur. Auch er zog eine „rote Linie“ – ein Limit, an dem ein militärisches Eingreifen zu Gebote stand.

Jetzt setzte er in Washington die Lobbyisten der Aipac in Bewegung, einer der einflussreichsten Lobby-Gruppen des Landes, um den Kurs Obamas zu torpedieren. Der US-Präsident hatte zumindest für die zweiwöchige Sitzungspause des Kongresses infolge der Thanksgiving-Day-Ferien Ende November die Abgeordneten gebeten, keine Verschärfung der Sanktionen zu forcieren – gegen den Widerstand selbst aus den Reihen der Demokraten. Man sollte den Verhandlungen wenigstens eine Chance geben, appellierte Obama an die Zweifler im Kongress, die der Islamischen Republik am Persischen Golf nicht über den Weg trauen und die sich schon zu oft hintergangen wähnen.


Lobbying-Tour. Währenddessen brach Netanjahu zu einer Lobbying-Tour auf. Selbst in Moskau, der Metropole des Mullah-Patrons Wladimir Putin, machte er Station – geradezu ein Verzweiflungsakt. In der jüdischen Gemeinde drohte er unverhohlen: „Der Iran wird keine Atombombe haben.“ Wiederholt hatte Israels Premier die US-Regierung versucht, von seiner tiefen Skepsis zu überzeugen. Darüber wäre es beinahe zu einem Eklat mit Außenminister Kerry gekommen. Netanjahu verweigerte ihm auf dem Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv angeblich den Handschlag, Kerry verzichtete daraufhin auf eine gemeinsame Stellungnahme.

Der Nachfolger Hillary Clintons, ein langjähriger, erfahrener Senator und gescheiterter Präsidentschaftskandidat, hat es sich zu seiner Priorität gemacht, an zwei Fronten des Nahen und Mittleren Ostens für Stabilität und Frieden zu sorgen: im Palästinenserkonflikt und im Atomstreit mit dem Iran, die teils sogar in einem kausalen Zusammenhang stehen. Gut ein Dutzend Mal reiste John Kerry seit seinem Amtsantritt vor zehn Monaten in den Nahen Osten, und auch die Atomverhandlungen nahm er selbst in die Hand. In Genf steht sein Geschick als Vermittler, sein Prestige als Minister auf dem Spiel – und das Ansehen einer Supermacht, die im Zuge der NSA-Affäre viel an Sympathie verloren hat.

Durch die Genfer Innenstadt jagten am Samstag derweil erneut Konvois schwarzer Dienstlimousinen mit getönten Scheiben, begleitet von Motorradeskorten mit Blaulicht. Vor dem Hotel Intercontinental wuselte die Polizei und vor den abgeschirmten Hotelsuiten, wo sich die Außenminister zu ihren Unterredungen trafen, tummelten sich die Bodyguards und Pressesprecher. Noch einmal setzten sich Kerry und Lawrow – letzterer als Advokat der Mullahs – zusammen. Am Nachmittag machte sich dann eine verdächtige Ruhe breit, die Presseleute ließen diplomatische Kommuniqués verlauten: Man sei sich nähergekommen, doch es sei diffizil, so der Tenor. Der britische Außenminister Hague gab die Sprachregelung aus: Die Kluft sei enger geworden, doch es gebe noch bedeutende Differenzen.

Hinter den Kulissen feilschten die iranischen Unterhändler um Zarif und seinen Stellvertreter Abbas Araqchi um Details, sie feilten am Wortlaut eines Kompromisses, dessen Grundzüge indessen seit Wochen feststehen. Der Deal besagt im Grunde: Stopp der Urananreicherung und der atomaren Aktivitäten gegen eine etappenweise Lockerung der rigorosen Sanktionen. Dem Vernehmen nach war zuletzt die Rede von einer Freigabe von fünf bis zehn Milliarden Dollar der gesperrten iranischen Konten auf westlichen Banken. Es spießte sich aber an der Frage des Atomreaktors Arak, an der Produktion von Plutonium. Zugleich war der Westen zu einer Konzession bereit – zu einer bloß rhetorischen Formel: dem grundsätzlichen Zugeständnis der Nutzung der Atomtechnik.

Als die Dunkelheit über den Genfer See hereinbrach, begann am Schweizer UN-Sitz erneut eine lange Nacht für die Diplomaten. Womöglich stand auch der Sonntag noch frei zur Debatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2013)

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