Ein großer Schritt zur dauerhaften Kontrolle des Iran

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Teheran sagt die Einstellung aller Aktivitäten zu, die zur Entwicklung von Atomwaffen führen könnten. Im Gegenzug lockern USA und EU vorläufig die Sanktionen.

Genf. Es war ein historischer Durchbruch in dem seit zehn Jahren eskalierenden Streit um das iranische Atomprogramm: Teheran verpflichtet sich zur Einstellung sämtlicher Aktivitäten, die zur durch den Atomwaffensperrvertrag (NPT) verbotenen Entwicklung von Atomwaffen dienen könnten. Darüber hinaus schränkt der Iran auch die vom NPT erlaubte Nutzung der Nukleartechnologie für zivile Zwecke wie die Stromerzeugung oder medizinische Forschung ein. Sämtliche Nuklearanlagen Irans werden einer strikten Dauerüberwachung durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) unterworfen.

Im Gegenzug suspendieren die USA und die EU vorläufig einige ihrer gegen Teheran verhängten Wirtschaftssanktionen und geben einen Teil der eingefrorenen iranischen Auslandsguthaben frei. Diese Vereinbarung wurde in der Nacht zum Sonntag nach viertägigen intensiven Verhandlungen zwischen den Außenministern des Iran und der Staatengruppe P5+1 (den fünf Vetomächten des UN-Sicherheitsrats und Deutschland) in Genf erzielt. Sie gilt für zunächst sechs Monate mit einer Option auf Verlängerung.

Laut Vereinbarung wollen beide Seiten bis spätestens November 2014 ein umfassendes Abkommen zur endgültigen Beilegung des Konflikts um das iranische Nuklearprogramm aushandeln. Auch dieses Abkommen soll Beschränkungen und Kontrollen des Programms enthalten, mit denen eine Entwicklung von Atomwaffen verlässlich und dauerhaft ausgeschlossen werden kann. Im Gegenzug sollen dann alle Sanktionen aufgehoben werden, die die USA, die EU und der UN-Sicherheitsrat seit 2006 gegen den Iran verhängt haben.

Der Iran wird Uran zumindest in den nächsten sechs Monaten nur noch auf die zur Stromerzeugung in Kernkraftwerken erforderliche Höhe von 3,5 bis maximal fünf Prozent anreichern. Die bisher für medizinische Forschungszwecke betriebene Anreicherung auf 20 Prozent wird vollständig eingestellt. Die dafür benutzten Zentrifugen werden unbrauchbar gemacht.

Ausbau wird völlig gestoppt

Darüber hinaus begrenzt die Vereinbarung auch die weiterhin erlaubte Anreicherung von Uran auf maximal fünf Prozent. Teheran verpflichtete sich, in den beiden Anreicherungsanlagen Natanz und Fordo keine neuen Zentrifugen zu installieren und bereits bestehende nur zum Teil in Betrieb zu nehmen. Damit kann die Anlage in Natanz nur zur Hälfte ihrer Kapazität betrieben werden, jene in Fordo nur zu 25 Prozent. Der Iran darf keine neuen Anlagen zur Urananreicherung bauen oder in Betrieb nehmen.

Zudem unterwarf sich die Regierung in Teheran strikten Kontrollen, die weit über die völkerrechtliche Verpflichtung aus dem Atomwaffensperrvertrag hinausgehen: Die Inspekteure der IAEA sollen täglichen Zugang erhalten – nicht nur zu den Anreicherungsanlagen Natanz und Fordo, sondern auch zu den Produktions- und Lagerstätten für Zentrifugen sowie zu den iranischen Uranminen und den Anlagen zur Verarbeitung des in den Minen geförderten Natururans.

Auch der zweite denkbare Weg zur Gewinnung von Spaltmaterial für Atomwaffen wird durch das Abkommen versperrt: Die Häufigkeit der IAEA-Inspektionen des noch im Bau befindlichen Schwerwasserreaktors in Arak soll deutlich erhöht werden. Nach der Inbetriebnahme könnte in diesem Reaktor atomwaffenfähiges Plutonium produziert werden. Teheran verzichtet in der Vereinbarung nicht nur auf eine Inbetriebnahme der Anlage durch ihre Befüllung mit Brennstoff und schwerem Wasser, sondern erklärt sich auch zur Einstellung der Bauarbeiten bereit. Darauf hatte insbesondere Frankreich gedrängt. Schließlich verpflichtet sich der Iran, innerhalb der nächsten drei Monate der IAEA die schon seit Jahren vergeblich verlangten Baudokumente und Unterlagen zum Betriebsablauf sämtlicher Nuklearanlagen zu übergeben.

Noch keine Freigabe für Ölgeschäft

Im Gegenzug wollen die USA und die EU eingefrorene iranische Auslandsguthaben in Höhe von rund fünf Milliarden US-Dollar freigeben. Zudem sollen einige Sanktionen gegen die iranische Automobilindustrie, gegen Gold und Edelmetalle sowie gegen den Export petrochemischer Güter vorläufig aufgehoben werden. Iranische Fluglinien, die weiterhin überwiegend Flugzeuge aus US-amerikanischer oder europäischer Produktion fliegen, sollen wieder Zugang zu Ersatzteilen und Wartungsservice erhalten.

Darüber hinaus sollen internationale Geldtransaktionen für humanitäre Zwecke (Nahrungsmittel, Medikamente) von den Finanzsanktionen ausgenommen werden. Für die Ausbildung iranischer Studenten im Ausland wollen die USA und die EU rund 400 Millionen US-Dollar freigeben.
Insgesamt belaufen sich die von USA und EU zugesagten Sanktionslockerungen auf rund sieben Milliarden US-Dollar. Das harte Sanktionsregime, insbesondere gegen Öl- und Finanztransaktionen, soll bis zur Vereinbarung eines endgültigen Abkommens bestehen bleiben.

Auf einen Blick

Einigung. Der Iran und die Vetostaaten im Sicherheitsrat (plus Deutschland) einigten sich in der Nacht auf Sonntag in Genf auf eine wesentliche Einschränkung für das iranische Atomprogramm. Lückenlose Kontrollen durch die UN-Atombehörde IAEA sollen die Umstellung überwachen. Bis spätestens November 2014 soll ein umfassendes Abkommen zur endgültigen Beilegung des Konflikts um das Nuklearprogramm ausgehandelt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2013)

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