Erleichterung, vermischt mit Erschöpfung, sprach aus den Bildern im Völkerbundpalast in Genf, als am Sonntag um drei Uhr früh Außenminister einander per Handschlag gratulierten.
Erleichterung, vermischt mit Erschöpfung, sprach aus den Bildern im Völkerbundpalast in Genf, als am Sonntag um drei Uhr früh Außenminister einander per Handschlag gratulierten, sich in den Armen lagen und gegenseitig auf die Schulter klopften. Nach zehn Jahren zähen und langwierigen Verhandlungen, nach Rückschlägen und endlosem Stillstand haben die Delegationen im Atomstreit mit dem Iran einen Kompromiss erzielt, der zum Testfall für das Regime in Teheran werden wird, und zu einer Chance für eine tatsächliche Öffnung nach selbst gewählter und verschuldeter Isolation: Der Paria der Weltgemeinschaft bekommt die vielleicht einmalige Gelegenheit, die politische Quarantäne ein für alle Mal zu durchbrechen.
Für das iranische Volk, das sich zum Großteil nach einem Ende der Repressionen durch das Mullah-Regime sehnt, bedeutet die Lockerung der westlichen Sanktionen zumindest eine Linderung des Leids, eine Verbesserung der Lebensqualität. Der vehemente Druck der Sanktionen hat zuallererst die Bevölkerung getroffen, hat indes nicht zuletzt die moderate neue Führung unter Präsident Hassan Rohani – freilich mit dem Pouvoir des obersten Führers, Ayatollah Khamenei – zurück an den Verhandlungstisch in Genf gebracht.
„Niemand hat verloren, alle haben gewonnen!“, jubelte Russlands gewitzter Außenminister Sergej Lawrow. Die Einschätzung mag man in Moskau, Washington, London, Paris, Peking, Berlin, Brüssel und insbesondere in Teheran teilen, nicht aber in Jerusalem oder Riad. Für US-Präsident Barack Obama, derzeit politisch in einem Tal der Depression, markiert der Deal einen außenpolitischen Etappensieg. Von Anfang an verfolgte er eine Politik der ausgestreckten Hand gegenüber dem Iran, und die von Realpolitikern viel belächelte Strategie scheint sich trotz massiver Skepsis nun doch noch bezahlt zu machen.
Viel Zeit, eine Interimslösung zu schmieden, wäre ihm und seinem Widerpart Rohani ohnehin nicht mehr geblieben. Im Kongress in Washington formiert sich – zum Teil selbst in den eigenen Reihen – bereits eine Front des Widerstands. Und in Teheran wogt der Machtkampf zwischen den sanften Reformern und den Hardlinern hin und her, und die Fundamentalisten des schiitischen Gottesstaats warten nur auf die kleinste Möglichkeit, das Rad der Zeit wieder zurückzudrehen.
Bei der vorläufigen Einigung ist allenthalben Vorsicht angebracht. Mit ihren Tricks und Finten haben die Mullahs den Westen im Nuklearkonflikt mehrmals hinters Licht geführt. Statt ihre atomaren Aktivitäten zu stoppen, haben sie sie in der Vergangenheit ausgeweitet. Kräften wie den Revolutionsgarden ist alles zuzutrauen – mithin auch, dass sie den Deal zu unterminieren suchen und den Kompromiss torpedieren.
Den Inspektoren der in Wien ansässigen Atomenergiebehörde IAEA ist indessen völlig freier Zugang zu den iranischen Atomanlagen zugesichert. Sie sollten in der Lage sein, im Ernstfall Alarm zu schlagen. Die militärische Drohkulisse durch die USA – und erst recht durch Israel – bleibt jedenfalls aufrecht. Zudem steht es Washington frei, den Geldhahn je nach Bedarf wieder zuzudrehen und so weiterhin ökonomischen Druck auszuüben. Darüber hinaus bleibt vorerst die Mehrzahl der Sanktionen bestehen.
Als Verlierer betrachten sich derweil in erster Linie Israel, Saudiarabien und die Golfstaaten, die angesichts einer Atombombe made in Iran Todesangst befällt. Die Saudis haben jedoch schon einen praktikablen Weg gefunden, der Gefahr zu begegnen: Mit ihren Petrodollars kaufen sich die Ölscheichs kurzerhand das Nuklearmaterial von Pakistan, der islamischen Atommacht. Damit nicht genug: In einer seltsamen Allianz mit Israel – und den Republikanern – machen sie in Washington mit ihren Lobbygruppen Stimmung gegen den Iran-Deal.
Israel schwebte für den Iran ein Modell à la Libyen und nicht à la Nordkorea vor – die komplette Aufgabe des Atomprogramms, wie sie Muammar al-Gaddafi vor zehn Jahren vorexerziert hatte. Barack Obama muss nun mit Engelszungen auf Benjamin Netanjahu, seinen ungeliebten Partner auf israelischer Seite, einreden, um dessen Misstrauen zu überwinden. Worte allein werden den aufgebrachten Premier nicht von der wundersamen Wandlung des Regimes überzeugen, das Israel seit jeher mit Auslöschung droht. Deshalb muss auch der Iran Glaubwürdigkeit beweisen und Ergebnisse liefern – und die Kontrollore müssen den Mullahs penibel auf die Finger schauen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2013)