Kaum ein Leitartikel konnte sich einer Bewertung des Atomdeals mit dem Iran entziehen. Historisch ist jedenfalls die Tragweite des jüngsten Abkommens.
Warnhinweis: Wer der Meinung ist, der Iran hätte ohnehin nie nach Atomwaffen gestrebt, weil ja der iranische Revolutionsführer doch gesagt hat, dass Nuklearwaffen unislamisch wären – oder wer meint, der Iran wolle sich mit Atomwaffen nur vor der Aggression Israels schützen, der lese diesen Kommentar am besten nicht weiter. Es war und ist nachgerade – gelinde gesagt – naiv, an solche Argumente zu glauben, und sie sind daher einer kritischen Diskussion unwürdig.
Eine nüchterne Analyse des am vergangenen Wochenende geschlossenen Iran-Atomabkommens ist schwierig genug. Gegner und Befürworter bemühten beide vorwiegend das Adjektiv historisch. Tatsächlich enthält es einige Punkte von großer Tragweite:
1.Es besteht der begründete Verdacht, dass dem Iran mit dem Abkommen praktisch der Status einer Prä-Atommacht eingeräumt wird. Sogar für den Fall, dass sich Teheran an alle getroffenen Vereinbarungen hält und es darüber hinaus in sechs Monaten zu einem dauerhaften Abkommen kommt – und an all dem darf mit Fug und Recht gezweifelt werden –, wird dem Iran ab sofort ein Zustand zugestanden, der mit „Sechs Monate vor der Bombe“ bezeichnet werden kann. Wann immer der Iran sich in Zukunft dafür entscheidet, kann er binnen eines halben Jahres zur Nuklearmacht werden. Nordkorea hat das bekanntlich vor einigen Jahren bereits erfolgreich vorgemacht.
2.Mit seiner Zustimmung zu diesem Deal hat Präsident Obama in den USA eine noch nie dagewesene Kluft in einer außenpolitischen Frage geschaffen: zwischen sich und der großen Mehrheit der Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses der USA und zwar sowohl von Republikanern als auch Demokraten. Dies wird das Vertrauen in die Führungskraft des US-Präsidenten weiter schmälern und seinen politischen Spielraum in den nächsten Jahren noch weiter verkleinern.
3.Die Stimmung in Israel ist sehr besorgt. Die Regierung äußert sich mehr oder weniger offen verächtlich über die Obama-Administration. Der Leitartikel der auflagenstärksten israelischen Zeitung trägt den Titel: „Totale und vollständige Niederlage“ und zieht Vergleiche mit dem Münchner Abkommen von 1938, mit dem die Alliierten vor Nazi-Deutschland resignierten. Sehr viel klüger formulierte es nur Staatspräsident Peres. Ob das Abkommen von Erfolgt gekrönt sei oder nicht, werde sich an den Ergebnissen zeigen, meinte er und appellierte an das iranische Volk: „Ihr seid nicht unsere Feinde und wir sind nicht eure.“
Vorerst jedoch sind den Israelis die Hände gebunden. Ein militärischer Angriff auf Irans Atomanlagen ist jedenfalls in den nächsten sechs Monaten ausgeschlossen. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Netanjahu – wie die meisten politischen Führungspersönlichkeiten – in die Geschichte eingehen möchte. Das jedoch ganz sicher nicht als jener israelische Ministerpräsident, der zuließ, dass der Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangte.
4.Besonders gravierend werden die Auswirkungen dieses Abkommens in der sunnitisch-arabischen Welt, also vor allem in Saudiarabien und den Golfstaaten sein. Das Vertrauen in die USA ist schwer erschüttert. Der nächste Schritt ist absehbar: Diese Länder werden ihre eigenen Atomprogramme entwickeln; mit der Unterstützung Russlands, Chinas oder Pakistans; keine sehr beruhigende Entwicklung.
5.Wirklich erfreulich sähe nur folgendes Szenario aus: Durch das Abkommen werden die moderaten Kräfte im Iran gestärkt und es könnten dadurch inner-iranische Veränderungen losgetreten werden.
Eine neue Führung könnten dann tatsächlich und ehrlich vom Atomprogramm lassen, um dem Land echten Fortschritt und Wohlstand zu sichern. Leider klingt das derzeit alles wie ein Wunschtraum. Aber für den Nahen Osten gilt ja das Sprichwort: Wer nicht an Wunder glaubt, der ist kein Realist.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2013)