In Wien gibt es jährlich Dutzende Ermittlungen gegen Polizisten, die Geheimnisse an Medien verraten. Aber: Nicht alle Informanten sind Helden, einige sogar Straftäter.
Wien. Ist er ein Held oder ein Verräter? Seit dem vergangenen Wochenende diskutieren Polizisten, Medien und Wiens Autofahrer leidenschaftlich darüber, was denn von jenem Exekutivbeamten zu halten sei, der Anfang Oktober das Protokoll einer internen Besprechung zum Thema „Autofahrer-Kopfgeld“ an einen Journalisten der „Kronen Zeitung“ weitergab. Demnach sollte jeder Polizist im Bezirk Floridsdorf seinen Vorgesetzten monatlich zumindest sieben Anzeigen wegen geahndeter Verkehrsübertretungen „bringen“.
Inzwischen weiß man: Der Apparat zeigte mit dem Überbringer der unangenehmen Nachricht keine Gnade. Er wurde ausgeforscht und suspendiert. Gegen ihn laufen strafrechtliche und disziplinarrechtliche Ermittlungen. Zu Recht?
Die Antwort ist auf den ersten Blick unbefriedigend und lautet: So ganz genau weiß man das noch nicht. Wie es aussieht, hat der Betroffene weit mehr als nur die fragwürdigen Pläne zum systematischen Autofahrerinkasso bekannt gegeben. Corpus Delicti ist ein sieben Seiten langes Fax. Bei dem Papier handelt es sich um ein Protokoll einer Führungskräftesitzung, in der noch über anderes gesprochen wurde. Etwa über Dienstabläufe, Einsätze und Einsatzpläne. Auch Namen werden darin genannt. Man könnte fast von Betriebsgeheimnissen sprechen.
Auf die Weitergabe derartiger Informationen steht laut Gesetz Strafe. Ohne Pardon. Erfährt die Polizei von einer offensichtlichen Verletzung des Amtsgeheimnisses, ist sie formal sogar dazu verpflichtet, das wahrgenommene Delikt anzuzeigen. Mit der absichtlichen Verfolgung unliebsamer Aufdecker von Missständen in den eigenen Reihen muss das grundsätzlich noch nichts zu tun haben.
Wiens Polizeispitze macht daraus kein Geheimnis. „Finden wir Zeitungsartikel, die auf Informationen beruhen, die einer gewissen Vertraulichkeit unterliegen, stellen wir Anzeige gegen unbekannte Täter“, sagt ein Mitarbeiter des Polizeikommandos. Wie oft das geschehe? „Regelmäßig.“ Dazu sollte man wissen, dass gerade die Führungsspitze des Innenministeriums eben diese „Kronen Zeitung“ gern dazu benutzt, ihre eigenen Interna an die Öffentlichkeit zu bringen.
Bis zu drei Jahre Haft
Im vorliegenden Fall wurde der Unbekannte ausgeforscht. Die Aufzeichnung einer Überwachungskamera einer Postfiliale hatte ihn beim Verschicken des Fax gefilmt. In der Praxis sind das Ermittlungsmethoden, mit denen die Behörden in der Regel ausschließlich Schwerverbrecher jagen. Der Bruch des Amtsgeheimnisses wiegt im Polizeiapparat offensichtlich nicht weniger schwer. Dem Beamten drohen im Fall einer Verurteilung bis zu drei Jahre Haft. Zusätzlich soll der Mann im Zuge der verbotenen Informationsweitergabe noch zwei weitere Straftaten begangen haben. Welche? Das, sagt die Polizei, unterliege dem Datenschutz.
Doch der Fall hat eben auch eine andere Seite. Eine Seite, die das Handeln des Informanten in ein günstigeres Licht stellt. Denn selbst Wiens Polizeispitze bezeichnet das kolportierte „Autofahrer-Kopfgeld“ inzwischen als eine „rechtlich strittige Anweisung“ (Aussendung vom 23.11.). Der Beamte, der das mit seinem Fax an die „Kronen Zeitung“ öffentlich gemacht hatte, zeigte also einen Missstand auf. Durch die Einleitung von Ermittlungen sieht es nun so aus, als würde sich das System nun genau dafür an ihm rächen. Sein Dienstgeber bestreitet das, behauptet sogar, das allein hätte „mit Sicherheit zu keiner vorläufigen Suspendierung geführt“.
Dem Betroffenen steht jedenfalls eine nervlich alles andere als besinnliche Weihnachtszeit ins Haus. Innerhalb eines Monats entscheidet die Disziplinarkommission des Innenministeriums, ob die Suspendierung aufrecht bleibt. Der weitere Verlauf ist vom Strafverfahren abhängig. Ab einem Jahr Haft folgt automatisch die Entlassung. Bleibt die Strafe darunter, entscheidet die Kommission individuell.
DER FALL
Mindestquote für Strafmandate. Anfang Oktober wurde bekannt, dass die Polizei in Wien Floridsdorf von ihren Beamten Mindestquoten bei der Bestrafung von Verkehrssündern verlangt. Der Beamte, der die Information an Medien weitergab, wurde nun ausgeforscht und suspendiert. Er muss sich straf- und disziplinarrechtlich verantworten. Die Polizeispitze betont, dass die Ermittlungen keine Racheaktion für die unangenehme Informationsweitergabe seien.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2013)