Von der Maoisten-Kommune zur Sklaven-Familie

Das Londoner Restaurant Khamsa war einst das
Das Londoner Restaurant Khamsa war einst das "Mao Zedong Memorial Center".(c) APA/EPA/ANDY RAIN
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Der Fall moderner Sklaverei wurzelt im linken Kommunen-Boom der Londoner 70er Jahre. Eines der Opfer soll 1968 aus Malaysia zum Studieren nach London gekommen sein.

Im Fall von moderner Sklaverei in London hat sich die Familie eines der Opfer mit einer britischen Zeitung in Verbindung gesetzt. Die 69 Jahre alte Frau, die gemeinsam mit zwei weiteren Opfern mehr als 30 Jahre lang gegen ihren Willen von einem Ehepaar festgehalten worden sein soll, sei 1968 aus Malaysia als Studentin über ein Commonwealth-Stipendium nach London gegangen, sagte die Schwester der Frau dem "Daily Telegraph".

Sie habe sich einer kommunistischen Kommune angeschlossen. Seitdem sei sie nicht mehr mit ihrer Familie in Kontakt getreten, berichtete die Zeitung am Dienstag. Im London der 1970er Jahre tummelten sich wilde Gruppierungen aus aller Welt - meist mit extrem linken Ansichten. Auf diesem Nährboden wuchs offenbar der aktuelle Fall von Sklaverei, in dem drei ehemalige Kommunen-Mitglieder wurden über 30 Jahre lang zu einer Art Leibeigenen.

"Gemeinsame politische Ideologie"

Das London der 1970er Jahre war ein Anziehungspunkt für Tausende dieser linker Gruppierungen mit Mitgliedern aus aller Welt, die in Kommunen zusammenlebten.

Der politische Fanatismus einer Maoisten-Gruppe mündete in eine 30-jährige Tortur für drei Frauen, die erst vor wenigen Tagen aus ihrem Sklavinnen-Dasein befreit wurden. Mit ihren Peinigern hätten sie zunächst "eine gemeinsame politische Ideologie" geteilt, teilte die Polizei offiziell mit. Den dürren Worten von Scotland Yard folgten in den vergangenen Tagen mehr und mehr Enthüllungen der britischen Medien - die Hintergründe des bizarren Falls werden klarer.

Das Leben der drei Frauen glich nach allem, was bisher tröpfchenweise bekannt wurde, einer bizarren Achterbahnfahrt. Am Anfang stand die Bewunderung für die politische Sicht des "Kameraden Bala" - wie der heute 73-jährige Tatverdächtige in der Szene genannt wurde. Dann muss daraus Abhängigkeit und schließlich ein nicht enden wollendes Leid geworden sein. "Sie entwickeln Rituale, gemeinsames Zusammenleben ist eines davon", sagte der Londoner Professor Dennis Tourish der BBC über die Eigenheiten maoistischer Gruppen. "Die Leute ordnen sich voll und ganz mit ihrem ganzen Hab und Gut und auf eine Art auch mit ihren Seelen den Zielen der Gruppe unter."

"Spalter-Aktivitäten"

"Kamerad Bala" und seine ebenfalls tatverdächtige Frau Chanda waren in den 1960er Jahren aus Indien und Tansania nach London gekommen. Sie schlossen sich dem marxistisch-leninistischen Flügel der Kommunistischen Partei Englands an. Doch das war ihnen nicht links genug. "Kamerad Bala" bezichtigte nicht nur den britischen Staat des Faschismus, er beschimpfte auch seine Parteifreunde bei den Kommunisten als Faschisten. Das war den Marxisten und Leninisten dann doch zu viel. 1974 warfen sie ihn aus der Partei.

Der Mann habe nach sieben Jahren des Kampfes um Einigkeit unter den Londoner Kommunisten "eigensinnig und ohne Absprache" versucht, einen Keil in die Reihen der Proletarier zu treiben, hieß es in einem Protokoll einer außerordentlichen Sitzung des Zentralkomitees der Partei. Der Ausschluss erfolgte wegen "Spalter-Aktivitäten" und weil er das Zentralkomitee des "Sozial-Faschismus" denunziert habe.

Vorläufige Festnahme

Der Rotfront-Aktivist machte sich dann mit einer Gruppe von rund 25 Gleichgesinnten sozusagen selbstständig und gründete ein maoistisches Zentrum im Süden Londons. 1977 soll er die Befreiung Großbritanniens vom Faschismus durch die Volksbefreiungsarmee Rotchinas vorausgesagt haben. 1978 wurde das Zentrum von der Polizei geschlossen, der heute 73-Jährige, seine Frau und drei weitere Aktivisten wurden vorläufig festgenommen.

Der Oxford-Professor Steve Rayner hatte die Gruppe damals für seine Doktorarbeit unter die Lupe genommen. Sie hätten ständig Mao-Anstecker getragen. "Die meisten waren Studenten aus dem Ausland, die in London keinen Anschluss fanden", sagte er dem "Evening Standard". Wenige der Mitglieder sollen einer geregelten Arbeit nachgegangen sein. Wer ein Einkommen hatte, spendete es der Gruppe. "An einem bestimmten Punkt kam die Kommune zu einem Ende", sagt Chefermittler Steve Rodhouse von Scotland Yard.

Jugendamt-Meldung vor 15 Jahren

"Kamerad Bala", seine Frau und die zunächst freiwillig dazugestoßenen, heute 57 und 69 Jahre alten Frauen aus Irland und Malaysia, zogen quer durch London. An 13 Adressen fand die Polizei Spuren der Kommune. Anfangs waren möglicherweise noch mehrere Mitglieder mit von der Partie. Die Polizei untersucht nach Medienberichten inzwischen auch den tödlichen Fenstersturz einer Frau an einer der Adressen.

Immer mehr rücken in dem außergewöhnlichen Fall auch die Behörden ins Licht der Öffentlichkeit. Bereits vor 15 Jahren hatte ein Nachbar das Jugendamt darauf aufmerksam gemacht, dass die heute 30 Jahre alte Britin keine Schule besuche - nichts passierte. Auch die in Großbritannien obligatorischen Hausbesuche von Hebammen und Sozialarbeitern blieben offenbar aus.

(APA/dpa)

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