Der ungleiche Machtkampf um Osteuropa

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Mit ihrer Ostpartnerschaft wollte die Union sechs frühere Sowjetrepubliken an sich heranführen. Vier Jahre später fällt die Bilanz durchwachsen aus: Im geopolitischen Match um Osteuropa ist Russland auf Konsolidierungskurs.

Wien/Vilnius. Beim gestrigen Galadinner im litauischen Vilnius wurden mehrere warme Gänge serviert. Dennoch dürfte die Stimmung beim Abendessen, mit dem der EU-Gipfel begann, eher kühl gewesen sein.

Der ukrainische Präsident, Viktor Janukowitsch, ließ es sich nicht nehmen, zum Gipfeltreffen der EU-Ostpartnerschaft anzureisen, obwohl seine Regierung genau eine Woche zuvor eine Kehrtwende hingelegt und alle Bemühungen zur Unterschrift des Assoziierungsabkommens überraschend gestoppt hatte. Seitdem spricht die offizielle Ukraine am liebsten im Konjunktiv – und in Zahlen: Man hätte eine Kompensation in der Höhe von 160 Milliarden Euro benötigt, um die durch die Abkehr vom russischen Markt entstehenden Einbußen aufzufangen.

Im Machtpoker zwischen Russland und der EU wollte die Ukraine bis zuletzt ihren Preis in die Höhe treiben. Dabei vergisst Kiew, dass es kein exquisites Dessert ist, wie es in Vilnius zum Abschluss serviert wurde.

EU-Ausritt in den Osten

Die Absage der Ukraine ist dennoch bitter für die Union: Der Triumph von Vilnius bleibt ihr versagt. Die Ukraine war zwar kein Gustostückerl, dafür aber das Herzstück der östlichen Partnerschaft, jenem 2009 aus der Taufe gehobenen Instrumentarium, mit dem Brüssel mehrere europäische Ex-Sowjetrepubliken an Europa binden wollte.

Anfangs hatte die vor allem von Tschechien und Polen betriebene Ostpartnerschaft innerhalb der EU keine besonders große Unterstützung. Zu beschäftigt war man mit der Krise in den eigenen Landen, unklar war die exakte Perspektive dieser Regionalinitiative innerhalb der EU-Nachbarschaftspolitik. Nach Nicolas Sarkozys Prestigeprojekt Mittelmeerunion ein weiterer Ausritt in abgelegene Gegenden, stöhnten viele. Trotz des schönen Namens Partnerschaft hatte man Gleichberechtigung nicht im Sinne: Ein vollwertiger EU-Beitritt wurde den sechs Staaten – Armenien, Aserbaidschan, Georgien, der Republik Moldau, Ukraine und Weißrussland – nie versprochen. Stattdessen versuchte die EU mittels in Aussicht gestellter Assoziierungsabkommen, Freihandelsverträgen und Visaliberalisierungen die früheren Sowjetrepubliken für das europäische Projekt zu begeistern.

In den neuen EU-Staaten sah man die Notwendigkeit einer Heranführung der östlichen Nachbarn – vor allem nach dem Georgien-Krieg von 2008, der illustrierte, dass die Kriegsgefahr an den Grenzen Europas nicht gebannt war. Schon damals ging es indirekt auch um Russland, das im August-Krieg seinem „nahen Ausland“ zeigte, wohin es gehörte: in Moskaus „Obhut“. Die EU betonte bei der Ostpartnerschaft stets, dass man beim Prozess der Assoziierung auf freiwillige Entscheidungen souveräner Länder setze: Mit Druck sei nichts zu erreichen. Doch heute, vier Jahre später, muss die EU einsehen, dass es mit Moskau einen erfahrenen Konkurrenten hat, der mit anderen Mitteln kämpft.

Denn im Ringen um Osteuropa ist der Erfolg der EU bescheiden: Einzig die beiden ökonomischen Leichtgewichte Georgien und die Republik Moldau sind in ihren proeuropäischen Ambitionen treu geblieben. Sie werden heute feierlich ihr Assoziierungsabkommen paraphieren, die Unterzeichnung ist für 2014 vorgesehen. Doch auch bei diesen Ländern hat Russland durch die ungelösten Territorialkonflikte – Transnistrien in der Republik Moldau, Abchasien und Südossetien in Georgien – einen Hebel, um die Annäherung möglichst schwer zu machen.

Andere beliebte Methoden, die auch die Ukraine in der Vergangenheit zu spüren bekam, sind Importverbote und der (angedrohte) Stopp von Energielieferungen in die abhängigen Länder. Russlands Vizepremier Dmitrij Rogozin erklärte bei einem Besuch in Moldaus Hauptstadt Chişinau im September angesichts des proeuropäischen Kurses des Landes unverhohlen: „Energielieferungen sind wichtig zur Vorbereitung auf den Winter. Ich hoffe, dass Ihnen nicht kalt wird.“

Kein Interesse an politischer Öffnung

Ebenfalls im September verlautete aus Armenien, es wolle sich der Zollunion anschließen. Russland ist traditionell die Schutzmacht Armeniens, und im Sommer hat Moskau Jerewan gezeigt, wie es Illoyalität bestraft: eine Waffenlieferung im Wert von einer Milliarde Dollar an Armeniens Erzfeind, Aserbaidschan. Von Aserbaidschan wiederum hat Moskau keine proeuropäische Öffnung zu befürchten. Die autokratische Führung des ressourcenreichen Staates hat schlicht kein Interesse daran. Und der EU-Dialog mit Weißrussland, dessen Abhängigkeit von Russland zuletzt wieder zugenommen hat, liegt seit der Repressionswelle nach der Präsidentenwahl vom Dezember 2010 auf Eis. Ein Grund für den Erfolg Russlands liegt neben seiner Politik des kalten Schauers nicht zuletzt darin: Anders als die EU stellt Moskau den Autokraten keine lästigen Fragen.

EU-OSTGIPFEL IN VILNIUS

Das zweitägige Gipfeltreffen der EU-Ostpartnerschaft in der litauischen Hauptstadt Vilnius begann am Donnerstagabend. Die Ostpartnerschaft der EU umfasst sechs ehemalige Sowjetrepubliken.

Die Ukraine sollte ursprünglich ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen. Nach dem überraschenden Kurswechsel in Kiew ist eine Unterschrift jedoch unwahrscheinlich.

Die früheren Sowjetrepubliken Georgien und Republik Moldau werden in Vilnius Assoziierungs- und Freihandelsabkommen paraphieren, d.h. einleiten. Die Bürger der Republik Moldau könnten schon gegen Ende 2014 von der EU-Visapflicht befreit werden, da das Land die EU-Auflagen erfüllt.

Mit Aserbaidschan wird in Vilnius ein Abkommen zum leichteren und kostengünstigeren Erhalt von EU-Visa verabschiedet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2013)

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