Litauen hält Kiews Argument, wonach Druck aus Moskau das Abkommen mit der EU verhindert hätte, für nicht stichhaltig. Derweil verspricht Präsident Viktor Janukowitsch seine Unterschrift „in naher Zukunft".
Was als historisches Ereignis geplant war, ging am gestrigen Freitag mit gegenseitigen Schuldzuweisungen zu Ende: Dass der Gipfel der östlichen Partnerschaft der EU in Vilnius kein Höhepunkt der litauischen Ratspräsidentschaft werden würde, war spätestens seit vergangener Woche klar, als die ukrainische Regierung in einer spektakulären diplomatischen Wende die Unterzeichnung des bereits fix ausverhandelten Assoziierungsabkommens mit der Union auf Eis legte.
Statt auf die geopolitische Zeitenwende anzustoßen, nutzten die nach Vilnius gereisten Würdenträger die Gelegenheit zur öffentlichen Abrechnung.
Den Anfang machte Gastgeberin Dalia Grybauskaite. Die litauische Staatspräsidentin warf ihrem ukrainischen Kollegen Viktor Janukowitsch am Freitag Unaufrichtigkeit vor - der von Janukowitsch als Entscheidungsgrund angeführte Druck Russlands sei nur eine „Ausrede, um den Integrationsprozess mit der Europäischen Union zu stoppen". Die litauische Erfahrung zeige nämlich, „dass Druck nicht funktioniert, wenn man den politischen Willen hat, sich zu widersetzen".
„Beispiellos" gegen „inakzeptabel"
Grybauskaite spielt damit auf das Argument der ukrainischen Seite an, russisches Drängen und die prekäre wirtschaftliche Lage im eigenen Land hätten die Regierung dazu gezwungen, den Deal mit der EU platzen zu lassen - und Brüssel hätte Kiew keine ausreichende Kompensation für die befürchteten Verluste von Marktanteilen in Russland angeboten. In der Tat machte Moskau im Vorfeld des Gipfels deutlich, dass ukrainische Unternehmer schnell den Zugang zum russischen Markt verlieren könnten, sollte sich Janukowitsch für den Westen entscheiden. Für den EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso ist der russische Druck „inakzeptabel" - in Europa seien die „Zeiten begrenzter Souveränität" vorbei.
Der Konter aus Moskau folgte umgehend: Parlamentschef Sergej Naryschkin sprach von einem „beispiellosen Druck" der EU auf die Ukraine. Brüssel hätte von Kiew ein auf zehn Jahre ausgelegtes Sparpaket gefordert.
Wie ernst war es der Ukraine wirklich?
Abseits dieser verbalen Scharmützel bleibt die Frage, wie ernst es der ukrainischen Regierung mit ihren prowestlichen Bekundungen überhaupt war, immer noch unbeantwortet. Zwar wiederholte Janukowitsch gestern in Vilnius seinen Standardsatz, wonach die Ukraine das Abkommen mit der EU „in naher Zukunft" fixieren wolle.
Diese Absichtserklärung wird aber von seinen Forderung relativiert, Europa müsse vor der Unterzeichnung Geld nach Kiew schicken. Derartige Aussagen lassen den Verdacht aufkommen, dass es der ukrainischen Führung gar nicht darum gehe, ihr Land zu modernisieren, sondern um möglichst viel Geld aus Brüssel. „Nach 1989 hätten wir Gras gefressen, nur damit der Anschluss an Europa zustande kommt", sagte der Vertreter eines osteuropäischen EU-Mitglieds zur „Financial Times".
Vertrag mit Georgien und Moldawien
Zusätzlich genährt wurde der Verdacht durch den schwedischen Außenminister, Carl Bildt, der per Twitter von Gerüchten in Vilnius wissen ließ, wonach die Ukraine aus der europäischen Energiegemeinschaft austreten wolle. „Das wäre der Tod des Assoziierungsabkommens", so Bildt. Allerdings ist dieses Gerücht nicht neu, denn Janukowitsch hat der EU bereits im Februar vorgeworfen, die Ukraine in ihrem Gasstreit mit Russland zu wenig zu unterstützen, und angekündigt, die Sinnhaftigkeit der ukrainischen Mitgliedschaft in der Energiegemeinschaft zu hinterfragen.
Einen Erfolg konnte die Union dennoch verzeichnen: Die Assoziierungsabkommen mit Georgien und Moldawien, die neben engerer Zusammenarbeit auch Erleichterungen im Handel beinhalten, wurden am Freitag paraphiert. Mit Aserbaidschan – ebenfalls Mitglied der östlichen Partnerschaft – wurde ein Visa-Erleichterungsabkommen fixiert.