US-Vizepräsident Joe Biden begibt sich bei seiner Asien-Reise auf eine Gratwanderung. Er muss Obamas Ambitionen im Pazifikraum untermauern und China Einhalt gebieten.
In Peking gibt sich die internationale Polit-Elite die Klinke in die Hand. Ukraines Präsident Viktor Janukowitsch folgte dem britischen Premier, David Cameron, im Wettlauf um die Gunst der chinesischen Führung, und heute wird US-Vizepräsident Joe Biden einem alten Bekannten seine Honneurs machen. Mit dem amerikanophilen Präsidenten Xi Jinping pflegte der joviale Obama-Vize schon durchaus enge Bande, als dieser noch das Amt des Vizepräsidenten bekleidete und in Washington einen Zwischenstopp einlegte, wenn er dessen Tochter an der Harvard University in Massachusetts besuchte.
Diesmal freilich wird sich das Gespräch nicht um Small Talk drehen, sondern um einen handfesten Konflikt und die Großmachtinteressen Pekings und Washingtons in der Pazifikregion. „Uncle Joe“, so der Spitzname des geschwätzigen und onkelhaften Vizepräsidenten soll die Wogen im Ostchinesischen Meer um die karge Inselgruppe glätten, die die Japaner Senkaku und die Chinesen Diaoyu nennen.
Von Tokio, der ersten Station seiner Asien-Reise, mahnte Biden als Vermittler zur Deeskalation eines Disputs, der sich zu einer ernsten weltpolitischen Krise zwischen China und dem US-Alliierten Japan auswachsen könnte – mit unberechenbaren Implikationen. In Washington warnte ein ehemals hochrangiger Obama-Berater gar vor einem neuen Sarajewo, dem Auslöser eines globalen Konflikts zwischen den Supermächten.
Als Emissär des US-Präsidenten begibt sich Biden in Tokio, Peking und Seoul bei seinem seit Langem geplanten Trip auf eine politische Gratwanderung. Einerseits soll er die Verhandlungen um einen transpazifischen Handelspakt mit Japan vorantreiben, die Nuklearmacht Nordkorea in die Schranken weisen und die einander in herzlicher Abneigung verbundenen US-Alliierten Japan und Südkorea gegenüber den territorialen Ansprüchen Pekings stärken und Chinas Hegemonialstreben so Einhalt gebieten.
Und andererseits gilt es, die Ambitionen der USA im Pazifik, die der gebürtige Hawaiianer Barack Obama formuliert hat, zu untermauern und Pflöcke einzuschlagen. Unter seiner Präsidentschaft hat sich Washington – erneut – der demonstrativen Hinwendung nach Asien verschrieben, Obama verfolgt einen Strategiewechsel – vom Nahen und Mittleren zum Fernen Osten.
Nahost-Agenda dominiert
Die Realpolitik fesselt die USA indessen nach wie vor in Nahost und im Mittleren Osten: Der Syrien-Krieg, der Palästinenserkonflikt, die Krise in Ägypten, der Atomstreit mit dem Iran, der Abzug aus Afghanistan dominieren die außenpolitische Agenda der Obama-Regierung. Die Staaten in Fernost, etwa Verbündete wie die Philippinen, reagierten deshalb enttäuscht, als der US-Präsident wegen der Budgetkrise erneut eine Reise in die Region absagen musste.
Joe Biden hat sich derweil als Obamas „troubleshooter“, als Krisenmanager, in der Innen- wie Außenpolitik, profiliert. Wo der Präsident oft abgehoben agiert und sich nicht die Finger schmutzig machen will, wirft sich Biden leutselig ins Getümmel. Ob bei der Gesundheitsreform oder im Budgetstreit: Der langjährige Senator sucht im Kongress den Kompromiss, er lässt seine Beziehungen spielen – und hört nicht einmal im schweißtreibenden Fitnessstudio im Kapitol zu plaudern auf. „Erschieß mich“, schrieb Obama einst als Jungsenator in einer Notiz an einen Mitarbeiter, als Biden bei einer Ansprache im Senat wieder kein Ende fand.
Noch im Wahlkampf erwog Obama, ihn gegen die populäre Außenministerin Hillary Clinton als Stellvertreterin auszutauschen, wie das Enthüllungsbuch „Double Down“ jüngst bestätigte. Mittlerweile mag Obama auf die Expertise seines Stellvertreters nicht verzichten, als Chef des renommierten außenpolitischen Ausschusses erwarb Biden schließlich reichhaltige Erfahrung und bereiste oftmals Krisenregionen wie den Irak und Afghanistan. Vergessen ist selbst Bidens Faible für den Fauxpas. Zum 71.Geburtstag schenkte Obama seinem Vize ein Putting Green für das Golfen im Büro. Für derlei Zeitvertreib bleibt vorerst aber keine Zeit. Biden bringt sich bereits für die Wahl 2016 in Stellung – im Phantomwahlkampf gegen Hillary Clinton.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2013)