Der russische Präsident hat 2013 einen politischen Erfolg nach dem anderen zu verzeichnen. Fragt sich, ob seine Kraftmeierei Russland wirklich weiterbringt.
Hätte das US-Magazin „Time“ nicht schon vor sechs Jahren Wladimir Putin zum „Mann des Jahres“ gemacht – der russische Präsident müsste diesen Titel in diesem Jahr bekommen. Für ein anderes US-Magazin, „Forbes“, ist er 2013 der „mächtigste Mann der Welt“. Auch das kann man gelten lassen.
Wladimir Wladimirowitsch Putin also kann mit größter Genugtuung auf dieses ablaufende Jahr zurückblicken. So ziemlich alles, was der Machtpolitiker angefasst hat, ist ihm nämlich gelungen: Er hat westliche Luftangriffe auf seinen syrischen Protegé Assad in letzter Minute verhindert; er hat mit mehr oder weniger schmerzhaftem ökonomischen Druck die Ukraine von der EU weg ins russische Lager gelockt. Und dann landet auch noch Edward Snowden in seinem Nest – jener amerikanische Whistleblower, der mit seinen Enthüllungen über die Praktiken des US-Abhördienstes NSA den transatlantischen Beziehungen mehr Schaden zugefügt hat als alle auf Zersetzung der Nato ausgelegten Operationen der sowjetischen/russischen Geheimdienste und Diplomatie zusammengenommen.
Dass US-Präsident Barack Obama das Asyl für Snowden in Russland schwer verärgert – geschenkt! Immer neue Enthüllungen über die NSA-Aktivitäten lenken auch prächtigerweise davon ab, was für ein knochenharter Geheimdienststaat Russland unter Putin selbst wieder geworden ist. Und wenn jetzt auch noch Frank-Walter Steinmeier ins Berliner Auswärtige Amt zurückkehrt, dann ist im Kreml wohl endgültig die Zeit für wohlige Wodkaseligkeit gekommen.
Wenn die SPD in der deutschen Außenpolitik wieder das Sagen hat, dann ist die für Moskau so ärgerliche deutsche Debatte, wie man mit einem außenpolitisch zunehmend autistischen, bockigen Russland umgehen soll, vorbei. Mit Steinmeier hätten endlich wieder die deutschen „Russland-Versteher“ das Sagen.
Den nächsten Coup hat Putin offenbar auch schon in petto: Was wird das für ein freudvolles Trara in den westlichen Medien werden, wenn er tatsächlich den seit 2003 im Gefängnis sitzenden Ölmagnaten Michail Chodorkowskij und die beiden Punkmädchen Nadescha Tolokonnikova und Maria Aljochina ein paar Monate vor ihrem regulären Haftende amnestieren sollte? Noch vor Beginn der Winterspiele in Sotschi, versteht sich.
Nach einem solchen Schritt wäre wohl auch der ganze Wirbel um eingeschränkte Rechte von Schwulen, Lesben und Transsexuellen in Russland vergessen. Für Sotschi war dies ohnehin nur ein Randthema. Die große Gefahr für die dortigen Spiele ist der Terrorismus. Und da wird der russische Geheimdienst- und Sicherheitsapparat alle Stückerln spielen, damit sich diese Gefahr nicht materialisieren kann. Umso drückender wird die Atmosphäre dort sein.
Die Frage bleibt: Wie umgehen mit diesem gerade wieder vor Selbstbewusstsein strotzenden Russland? Jedenfalls bringt es sicher nichts, wenn man jetzt beginnt, vor der russischen Machtpolitik zu kuschen. Putin respektiert einen nur, wenn man ihm in der gleichen rauen Tonart antwortet, die er selbst so gern anstimmt. Angela Merkel hat das verstanden. Sie hat immer wieder Putin gegenüber resolut Themen angesprochen, die im demokratischen Wertekanon wichtig sind – resolut, aber nicht dumm und russophob, wie etwa die Erklärungen der beiden US-Senatoren John McCain und Lindsay Graham zu Russland immer wieder klingen.
Russland wird ein extrem schwieriger Partner bleiben. Veränderungen hin zu einem normalen, gleichberechtigten und auf gegenseitigem Respekt beruhenden Verhältnis wird es nur geben, wenn dies einmal aus der russischen Gesellschaft heraus selbst erwünscht ist. Das aber wird wohl erst dann einmal der Fall sein, wenn die Russen selbst erkennen, dass man mit einer Politik der Kraftmeierei auch nicht wirklich weiterkommt.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2013)