Rückzug in die Schrebergärten keine Lösung für Europa

Nationalpopulismus und Überbürokratisierung bedrohen das Projekt EU.

Erstmals seit Bestehen des europäischen Projektes besteht die reale Gefahr, dass es an die Wand fährt. Die ursprünglich großartige Idee eines zusammengehörenden und zusammenarbeitenden Europas liegt heute unter zwei Problembergen verschüttet: den antieuropäischen Nationalpopulismen und den „hausgemachten“ Problemen der Überbürokratisierung, der falschen Prioritäten und schwachen demokratischen Strukturen.

Wir müssen den Nationalpopulismen entgegentreten. Ihre Ziele sind: die „nationale Souveränität“ stärken – sie glauben, dass man das durch ein Schwächung der EU erreicht, die Zuwanderung stoppen – sie glauben, damit „Inländern“ Wohlstand zu sichern, den Euro abschaffen – sie glauben, damit nicht mehr für den „faulen Süden“ zahlen zu müssen. Setzten wir dies um, wäre der Schaden gewaltig.

Wir gewinnen keine nationale Souveränität, wenn wir Europa durch 28 dividieren. Im Gegenteil: Nur wenn wir unsere Kräfte in der EU bündeln, können wir unsere Interessen global durchsetzen. Das beginnt bei hohen Standards für Lebensmittel, das gilt für den Umweltschutz, den Schutz der Privatsphäre und erst recht für den Schutz vor neuen Bankenkrisen.

Ursachen des EU-Frusts

Freilich ist es zu wenig, gegen Rechtspopulisten zu sein. Man muss bei den Ursachen ansetzen, die zu deren Erstarken führen: Wieso ist es möglich, dass Konzerne in der EU Steuervermeidung im großen Stil betreiben, wir Konsumenten hingegen beim schlichten Pkw-Kauf in einem anderen EU-Land immer noch vor vielen Hürden stehen? Wieso klappt die Schaffung einer europaweiten Einwanderungspolitik nicht?

Wieso können europaweit Bankeneigentümer unter Einsatz enormer Mittel gerettet und gleichzeitig keine europaweiten Mindestsozialstandards vereinbart werden? Wieso haben wir noch immer 28 einzelne Armeen und keine gemeinsame Sicherheitsstruktur? Wieso haben wir keinen europäischen Zusammenschluss für die in Zukunft so wichtigen Energiefragen?

„European way of life“

Zu oft mischt sich die EU auch in Lebensdetails ein, von denen sie besser die Finger lassen sollte. Das ist ein großer Teil ihrer Akzeptanzproblematik. Kommunen und Länder soll man regeln lassen, was dort besser geregelt werden kann. Nicht zuletzt das Demokratiedefizit. Es ist absurd: Wäre die EU ein Staat und würde sie um Aufnahme in die EU ansuchen, wäre sie abzuweisen – wegen zu gering entwickelter demokratischer Standards.

Die Gründungsmission der europäischen Idee – Friede, Wohlstand, Supranationalität – allein trägt nicht mehr. Abgesehen davon, dass das Wohlstandsversprechen heute für viele nicht mehr eingelöst wird und manche die EU dabei als Teil des Problems statt als Lösung ansehen.

Am Beginn des 20. Jahrhunderts stellte Europa noch 20 Prozent der Weltbevölkerung, jetzt sind wir zehn Prozent, 2050 werden wir sieben Prozent sein. Welche Stellung haben wir dann noch in der Welt? Jetzt schaffen wir 25Prozent der Wertschöpfung in der Welt, bald werden es nur noch 15 Prozent sein.

Wenn wir nicht zusammenstehen und noch stärker kooperieren, dann wird unser einzigartiger „European way of life“, unser sympathisches Konzept zwischen dem Modell USA und dem chinesischen Staatskapitalismus bald Geschichte sein. Wer das nicht will, muss die Problemberge wegschaufeln und den Blick auf die Zukunft richten. Zurück in die Schrebergärten ist keine Lösung.

Karl Newole ist Rechtsanwalt und Vorsitzender der unabhängigen Bürgerliste Wir im Ersten in 1010 Wien. 2014 wird er im Rahmen der Gesprächsreihe „Innenstadt goes Europe“ die Spitzenkandidaten für die Europawahlen zu ihren Positionen befragen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2013)

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