Lehren nach alternativem Plan

In Montessorischulen werden Kinder ermuntert, in einer vorbereiteten Umgebung nach eigenen Interessen und in eigenem Tempo selbstständig zu lernen.
In Montessorischulen werden Kinder ermuntert, in einer vorbereiteten Umgebung nach eigenen Interessen und in eigenem Tempo selbstständig zu lernen.Private Volksschule Montessori-Verein Hütteldorf
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Montessori- und Waldorf-Pädagogik sind ungebrochen aktuell. Wo und wie werden die entsprechenden Lehrer ausgebildet?

In Zeiten von Lehrlings- und Lesekrisen, von Sozialwaisen, die den Nachmittag unbetreut vor dem Fernseher verbringen, und von Sonderschülern, die (oft zu Unrecht) keinen Platz im Regelschulsystem finden, müssten reformpädagogische Konzepte eigentlich eine Hochkonjunktur erleben. In Ansätzen tun sie das auch, die klassische Pädagogik hat längst den Nutzen von Methoden wie dem „offenen Lernen“ oder der Förderung schöpferischer Fähigkeiten erkannt.

Und doch basiert die Lehrerausbildung in Montessori- oder Waldorf-Pädagogik – den beiden hierzulande bekanntesten Formen des Reformschulwesens – auf gänzlich anderen Grundlagen als die der „normalen“ Lehrer. Das wird schon beim Blick auf den Unterricht klar: Betritt man eine Montessori-Klasse, kann es durchaus sein, dass der Lehrer irgendwo auf dem Boden sitzt oder mit einem einzelnen Kind redet, während andere sich miteinander unterhalten oder mit ihren jeweiligen Aufgaben beschäftigt sind. Insgesamt gleicht die Gruppe einem summenden Bienenstock. „In der klassischen Pädagogik ist der Lehrer oft Alleinunterhalter, einen guten Montessori-Lehrer aber zeichnet die Fähigkeit aus, sich zurückzunehmen. Er stellt die Kinder ins Zentrum und ist selbst nur so etwas wie ein Mittler“, sagt Christiane Salvenmoser, eine der beiden Leiterinnen der österreichischen Montessori-Akademie und Vizepräsidentin der Österreichischen Montessori-Gesellschaft (ÖMG). Vor diesem Hintergrund bemerkenswert: Thailand, mit traditionell autoritärem Lehrerbild, ist gerade dabei, seine Grundschulerziehung auf Montessori-Prinzipien umstellen.

Feinmotorik vor Lesen

In einer Waldorf-Schule wird man auf die vertraute, lehrerzentrierte Unterrichtsstruktur stoßen. Dafür überrascht, dass der Lehrer die jüngsten Schüler anleitet zu stricken, auf der Leier zu spielen oder keltisch anmutende Muster zu zeichnen, sich aber mit dem Thema Lesen bewusst Zeit lässt. „Wir lehren die Kulturtechniken weniger analog zum Lehrplan öffentlicher Schulen, sondern mehr im Gleichschritt mit der Bewusstseinsentwicklung der Kinder“, sagt Stefan Herkommer, Dozent in der Waldorf-Pädagogenausbildung sowie Vorstands- und Gründungsmitglied der Akademie Anthroposophische Erwachsenenbildung (Akademie-ae). „Ein Kind in den ersten Klassen der Volksschule befindet sich nach Auffassung der Waldorf-Pädagogik in einem Bewusstseinszustand, der menschheitsgeschichtlich dem der Ägyptischen-Babylonisch-Chaldäischen Kultur um tausende Jahre voranging. Also trödeln wir am Anfang mit dem Lesen und lassen den Kindern Zeit, bis sie sozusagen alle ,Ägypter‘ geworden sind. Womit wir nicht trödeln dürfen ist die Entwicklung der Motorik und Feinmotorik, die für das Schreiben, und nicht nur dafür, notwendig ist.“

Sowohl Montessori-Pädagogik als auch Waldorf-Pädagogik sind nicht nur Lehrmethoden, beiden liegt eine eigene Weltanschauung zugrunde, die durch charismatische Persönlichkeiten geprägt wurde: durch die italienische Ärztin Maria Montessori und den österreichischen Philosophen Rudolf Steiner. Aus den Philosophien, die beide zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten, ergibt sich eine spezielle Sicht auf das Kind, aber auch auf das Leben insgesamt. Daher können Montessori-Methoden auch in der Arbeit mit Demenzkranken, Steiners Prinzipien auch in der Betreuung behinderter Menschen eingesetzt werden.

Diplomierte Ausbildungen

Beide Pädagogiksysteme sind in Österreich inzwischen mit mehrjährigen diplomierten Ausbildungen vertreten. Die Akademiae-ae sowie ihre Partner in Wien und Salzburg bieten zwei- bis dreijährige berufsbegleitende Studien in Waldorf-Pädagogik oder -Kindergartenpädagogik sowie in Behindertenbegleitung an, außerdem Grundstudien in Anthroposophie und Eurythmie, der von Rudolf Steiner entwickelten Bewegungskunst. In Kooperation mit der Donau-Universität Krems wurde außerdem ein dreijähriges Masterstudium (Master of Arts in Waldorfpädagogik) entwickelt. Nicht akademische Abschlüsse sind dort bereits nach dem ersten oder dem zweiten Studienjahr möglich.

Das österreichische Montessori-Zentrum betreibt in seiner Akademie ein fünfsemestriges, berufsbegleitendes Studium für „Kinderhaus-Pädagogen“ für das Vorschulalter, sowie eine sechssemestrige berufsbegleitende Ausbildung für Montessori-Lehrer. „Die Ausbildungen werden in Modulform angeboten und lassen sich gut mit Beruf oder Familie verbinden“, sagt Salvenmoser. Nicht zu unterschätzen sei allerdings das Arbeitspensum außerhalb des Kurses. „Es sind jede Menge Arbeiten zu Hause zu erledigen, außerdem Praktika und Hospitationen, das bedeutet mindestens zehn, 15 Wochenstunden zusätzlich.“ Generell sei „eine ungemein große Lernfreude“ eine der Voraussetzungen, die ein Montessori-Pädagoge mitbringen muss. Die Freude, Kinder an Entdeckungen teilhaben zu lassen, eigentlich ein Urantrieb jeglichen pädagogischen Tuns, müsse immer spürbar sein. „Um dieses Feuer zu erhalten, braucht es viel Pflege und Fortbildung“, so Salvenmoser. Die wichtigste Voraussetzung sei Liebe und Zuneigung zu Kindern, die sich „mit dem tiefen Interesse am Wesen des Kindes und an der Natur des Menschen verbinden“ muss. Es macht allerdings einen großen Unterschied, ob man mit Kindern (im Vorschul- oder Schulalter) oder Jugendlichen (ab etwa zwölf Jahren) arbeiten will, so Salvenmoser. „Kinder lernen stark über Beziehung. Für sie spielt der Pädagoge eine ganz große Rolle. Jugendliche hingegen brauchen eine bunte Mischung von Erwachsenen, die in ihrer eigenen Erwachsenenwelt angekommen sind und dazu stehen, dass sie eine andere Aufgabe haben als Kinder.“

Offen für fremde Weltanschauungen

Als Grundbedingung für eine Pädagogikausbildung nennt Herkommer ein abgeschlossenes Studium, Hochschulreife oder Berufserfahrung. Da die Person und die Lehren Rudolf Steiners durchaus umstritten sind, formuliert Herkommer eine weitere Voraussetzung: Die Studierenden sollten „Rudolf Steiners Ideen für lohnend genug erachten, sie hypothetisch so weit gelten zu lassen, dass sie darüber nachdenken wollen.“ Zweitens müssten Studierende bereit sein, sich fremden Weltanschauungen empathisch so weit zu nähern, bis sie diese so gut wie die eigene darstellen könnten. Drittens gehöre im Falle eines Berufseinstiegs auch die Bereitschaft dazu, für eine Gruppe Heranwachsender Vorbild, Führungsperson und Begleiter zu werden. Für Herkommer wäre es „schön, wenn die Absolventen in sich das Verlangen spürten, immer mehr Künstler zu werden, und sich dazu keinen besseren Sparringpartner wünschen könnten als die Kinder einer Schulklasse“.

AUSBILDUNGEN

Ausbildungen in Montessori-Pädagogik.

•Montessori-Akademie der Österreichischen Montessori-Gesellschaft: Mehrjährige Diplomausbildungen und einjährige Zertifikatslehrgänge zur Fortbildung sowie dreitägiges Einführungsseminar für alle Interessierten.

www. montessori.at/akademie.xhtml

•Montessori Vereinigung Wien & Arbeitsgruppe Freie Lernphase: Lehrgänge zur Fortbildung nach Montessori-Prinzipien für „klassisch“ ausgebildete Lehrer-, Kindergarten- und Sozialpädagogen.

www.montessori-wien.org/

•Association Montessori Internationale (AMI):

Trainingszentren und diverse Kurse weltweit, etwa in München, jedoch nicht in Österreich.

www.montessori-ami.org

Ausbildungen in Waldorf-Pädagogik.

•Akademie Anthroposophische Erwachsenenbildung (Akademie-ae) und Partner:

Diplomlehrgänge, Grundstudien und Seminare.

www.akademie-ae.at

•Waldorf Wien (Seminar für Erziehungskunst)

www.waldorf-wien.at

•Waldorf Salzburg

www.waldorf-salzburg.at

•Zentrum für Kultur und Pädagogik:

Dreijähriger Universitätslehrgang in Kooperation mit der Donau-Universität Krems . Abschlüsse: nach einem Jahr Zertifikat, nach zwei Jahren Akademische/r Experte/in, nach drei Jahren Master of Arts.

www.kulturundpaedagogik.at

www.donau-uni.ac.at/de/studium/waldorfpaedagogik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2013)

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