Wie sich Handyzombies in ihrer eigenen kleinen Welt durch die Mariahilfer Straße wälzen.
Es ist bitte schön Folgendes: Fledermäuse haben ja bekanntlich ein Echoortungssystem. Damit können sie sich in der Dunkelheit orientieren und Hindernissen ausweichen. Menschen haben diese Fähigkeit, per Ultraschall Hindernisse zu erkennen, nicht. Zumindest hat man das seinerzeit so in der Schule gelernt und bis dato nichts gehört, was dem widersprechen würde. Wie kann es dann aber sein, dass dennoch Tag für Tag hunderte Menschen glauben, im Blindflug durch Wiens größte Einkaufsstraße navigieren zu können? Der Blick ist gesenkt, die Aufmerksamkeit auf das Smartphone gerichtet, der Daumen tippt schnell ein SMS oder setzt einen Tweet ab. Und mit schlafwandlerischer Sicherheit schlingert der Körper derweil durch die adventliche Masse der Einkaufswilligen. Es sind Handyzombies in ihrer eigenen kleinen Welt, die sich da durch die Mariahilfer Straße wälzen. Dass da nicht mehr passiert.
Wobei, vielleicht tut es das mittlerweile ja ohnehin. Und wir haben das Phänomen einfach noch nicht als solches erkannt. In den USA hat kürzlich etwa eine Studie darauf aufmerksam gemacht, dass die Zahl der Verletzungen durch „distracted walking“, also unkonzentriertes Gehen, in den vergangenen Jahren ziemlich stark gestiegen ist. Soll heißen, dass der Kontakt mit einer Laterne immer häufiger zu einem iCut führt und man sich dabei auch den einen oder anderen Bluetooth ausschlägt. Der Begriff der „mobile injuries“ könnte jedenfalls schon bald einen Bekanntheitsgrad wie diverse Sportverletzungen à la Tennisarm erlangen.
Vielleicht tut man all den Passanten, die wie Androiden durch das Menschengewimmel navigieren, aber unrecht – möglicherweise leitet sie ja eine Echolot-App an all den Hindernissen vorbei. Oder aber wir beobachten gerade die Entstehung eines neuen literarischen Genres – im Mittelpunkt steht das Fragment des Textes, den man gerade geschrieben hat, als man in eine Laterne lief. Tweet before dong oder so. Mal schauen, ob es das schon im iTunes-Shop gibt...
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2013)