Wie Polen sich auf den Weg an die Spitze machte

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Selbst denken statt auswendig lernen: Das ist die Devise an den polnischen Schulen. Vor fünf Jahren hat Polen die Lehrpläne geändert, vor 13 Jahren eine groß angelegte Schulreform durchgezogen.

Warschau. „Wojtek und Bogdan sind je 13 Jahre alt. In wie vielen Jahren werden sie zusammen 100 sein?“ Oder: „Ein Flugticket von Warschau nach London kostet 324 Zloty. Wie teuer ist die Flugreise für die 16-köpfige Reisegruppe“, heißt es im Rechenbuch der vierten Klasse Volksschule. Klingt banal, doch ist es alleweil besser als Rechenaufgaben wie „16 mal 324“, wie sie vor fünfzehn Jahren noch in den polnischen Schulbüchern standen. Außerdem eröffnet sich so den polnischen Volksschülern die Welt, statt die Nationalschriftsteller auswendig zu lernen. Was die zehnjährigen Polen gelernt haben, potenziert sich bei den 15-Jährigen, wie die PISA-Ergebnisse belegen (siehe Grafik).

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Am meisten erstaunt hat polnische Bildungsexperten aber das Lob der PISA-Experten für die Fähigkeit der polnischen 15-Jährigen, auch neue Probleme zu lösen. Bisher hatte es immer geheißen, polnische Schulkinder könnten zwar das Gelernte gut auswendig, doch Erklären und Begründen falle ihnen schwer. Lesetexte verstanden sie zwar, doch wenn es darum ging, diese zu interpretieren, haperte es.

„Wir haben drei Gründe, als Polen stolz zu sein“, sagte Polens Premierminister Donald Tusk, bei der Präsentation der jüngsten PISA-Ergebnisse vor einer Woche. Er hatte dazu alle seine drei bisherigen Bildungsminister eingeladen, um ihnen zu danken. „Wir haben eine der am besten vorbereitete Jugend Europas und der Welt“, zählte Tusk auf. Polnische Lehrer seien besser als der Durchschnitt in Europa, und die so oft kritisierten Gymnasien zwischen Volksschule und Lyceum hätten sich bewährt. „Die polnische Schule braucht keine Revolution, sondern einfach noch etwas mehr Geld“, schloss Tusk.

Dreijähriges Gymnasium

Den Grundstein für den Erfolg hatte laut Bildungsexperten Miroslaw Handke 1999 gelegt. Der Bildungsminister der konservativen Regierung Jerzy Buzek gestaltete in einer großen Reform das bisherige zweistufige Schulmodell in ein dreistufiges um. Zwischen die Volksschule und das allgemeinbildende Lyceum, das zur Matura führt, schob er das dreijährige Gymnasium.

Auch sollte die Segregation der Gesellschaft trotz Transformation zum Kapitalismus und Booms von Privatschulen nicht die Oberhand gewinnen. Die Schulen wurden deshalb angehalten, auch in ärmeren Stadtteilen und kleineren Städten nach oben zu streben, und dabei unterstützt. „Sind Sie damit einverstanden, dass wir Ihrer Tochter bei den Hausaufgaben helfen?“, heißt es deshalb immer häufiger, wenn Eltern ihre Kinder abholen. Wer Schwierigkeiten hat, kriegt neben Nachhilfe einen Aufgaben-Tutor.

Entrümpelte Lehrpläne

2008 folgte eine Anpassung des Lehrplans. Unter großem Protest dampfte Bildungsministerin Katarzyna Hall die Pflichtlektüre ein, warf ganze Lernmodule aus den Fächerprogrammen und legte großen Wert auf selbstständiges Problemlösen. Auch wurde Mathematik zum Pflichtfach für jeden Maturatyp. Dies motivierte die Schüler, denn sie konnten das Fach nicht mehr wie früher links liegen lassen und sich stattdessen auf Polnisch und Sprachen konzentrieren.

Dennoch sind nicht alle zufrieden: Studien zeigten, dass Polens 15-Jährige zu den unglücklichsten in Europa zählten. Und: Die guten PISA-Werte könnten nicht über die Jugendarbeitslosigkeit hinwegtäuschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2013)

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