76 Prozent der Genossen segnen Schwarz-Rot ab. Von der Leyen wird Verteidigungsministerin, de Maizière Innenminister.
Berlin. Sigmar Gabriel kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. „Ein Fest der Demokratie“ sei dieser Mitgliederentscheid, der „in die Geschichte eingehen“ werde. Schon lange nicht mehr sei er „so stolz darauf gewesen, Sozialdemokrat zu sein“, denn „so politisch engagiert“ habe er die Partei „noch nie erlebt“. Damit rühmte der SPD-Parteichef vor allem sich selbst.
Nach der Wahlschlappe vom September hatte Gabriel sich auf das Wagnis eingelassen, eine Große Koalition vom Votum der Mitglieder abhängig zu machen. Über einen fix ausverhandelten Koalitionsvertrag eine Parteibasis abstimmen zu lassen, das hat es in der Bundesrepublik noch nie gegeben.
Das Experiment ist geglückt: Über 70 Prozent der rund 475.000 Genossen gaben eine gültige Stimme ab, deutlich mehr als anfangs erwartet. 76 Prozent von ihnen stimmten mit Ja. Nun darf sich Gabriel, dessen politisches Schicksal gerade noch von einem positiven Ergebnis abhing, als Held feiern lassen, der mit hohem Einsatz hoch gewann.
Dobrindt fürs Digitale. Am Dienstag kann nun endlich der Bundestag Angela Merkel zum dritten Mal zur Kanzlerin wählen. Wer mit ihr aber künftig am Kabinettstisch sitzt, geben die drei Parteien offiziell erst am Sonntagabend bekannt. Aber bis Samstagabend sickerte schon fast alles durch. Die CSU verliert an Macht: Der in der Datenaffäre glücklos agierende Innenminister Hans-Peter Friedrich muss sich künftig mit der Entwicklungshilfe begnügen. Peter Ramsauer wechselt vom Verkehr zur Landwirtschaft, zu der nicht mehr der Verbaucherschutz gehört – er wird der Justiz zugeschlagen.
Der CSU-Mann fürs Grobe, Generalsekretär Alexander Dobrindt, erfährt höhere Weihen als neuer Verkehrsminister. Auch ums Internet darf er sich kümmern, verliert aber die Bau-Agenden ans Umweltressort. Bei der CDU lichteten sich die Nebel. Wolfgang Schäuble bleibt Finanzminister und gibt mit Merkel weiter den deutschen Takt in der Eurokrise vor.
Für eine Überraschung sorgte Ronald Pofalla. Im August hat der Kanzleramtschef die NSA-Affäre kurzerhand für beendet erklärt und damit viel Spott und Kritik geerntet. Nun beendet er selbst seine politische Karriere. Angeblich will der 54-Jährige mehr Privatleben, vermutlich winkt aber ein Posten in der Wirtschaft. Merkel verliert mit ihm einen engen Vertrauten. Sein Erbe tritt der bisherige Umweltminister Peter Altmaier an.
Thomas de Maizière wechselt zurück ins Innenressort, dem er schon von 2009 bis 2011 vorstand. Als Verteidigungsminister passierten ihm schlimme Pannen beim Kauf von Drohnen und anderem Kriegsgerät.
Erste Frau fürs Heer. Die größte Überraschung: Ursula von der Leyen wird Verteidigungsministerin. Die ehrgeizige und populäre Politikerin, die immer wieder als potenzielle Merkel-Nachfolgerin genannt wird, muss ihr mächtiges Ressort Arbeit und Soziales an die SPD abgeben, die darin eine Kernkompetenz sieht. Ins Gesundheitsministerium wollte sich die studierte Ärztin nicht abschieben lassen. So fand man zur Lösung, erstmals in Deutschland eine Frau zur Oberbefehlshaberin des Heeres zu ernennen.
Wen die SPD in die Regierung einbringt, erfuhr die Öffentlichkeit durch Indiskretionen bereits am Freitagabend. Gabriel selbst wird Vizekanzler und als „Superminister“ für Wirtschaft und Energie der Koordinator der Energiewende. Andrea Nahles darf als Ministerin für Arbeit und Soziales den Mindestlohn einführen und die Leiharbeit einschränken. Frank-Walter Steinmeier gibt den Fraktionsvorsitz an Thomas Oppermann ab und kehrt in das Auswärtige Amt zurück.
Die Ostdeutsche Manuela Schwesig (39) ist künftig als Familienministerin das junge Gesicht der ältesten deutschen Partei. Schatzmeisterin Barbara Hendricks übernimmt das Umweltressort, das ohne die Energiewende deutlich weniger Aufgaben hat.
Der saarländische Landespolitiker Heiko Maas, mit dem niemand gerechnet hat, wird Justizminister. Der „Prinz Charles von der Saar“, in seiner Heimat der ewige Zweite, bekommt in Berlin die Chance, sein Verliererimage loszuwerden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15. Dezember 2013)