Bankenunion: Die Mühen der Entscheidungsfindung

BELGIUM EU EUROPEAN COUNCIL SUMMIT
BELGIUM EU EUROPEAN COUNCIL SUMMITAPA/EPA/JULIEN WARNAND
  • Drucken

Der vor Kurzem erzielte Kompromiss über die Abwicklung angeschlagener Banken bietet einen kondensierten Überblick über die Mühen der europäischen Entscheidungsfindung.

Wer seinen Lebensunterhalt im Maschinenraum der Europäischen Union verdient, ist von Berufs wegen Kummer gewohnt, denn die Baupläne der EU sind alles andere als übersichtlich – und gewinnen mit jeder Reparatur zusätzlich an Komplexität. Doch selbst für die leidgeprüften Ingenieure der europäischen Integration stellten die Arbeiten am Mechanismus zur geordneten Abwicklung angeschlagener Banken in der Eurozone wohl einen neuen Höhepunkt dar: Der in der Nacht zum Donnerstag ausverhandelte Kompromiss gleicht mehr einer surrealistischen Collage als einer technischen Zeichnung – ein Sammelsurium von Akronymen (SRF, BRRD, SSM etc.) und einander überlappenden Elementen, dessen Funktionsweise das Verständnis vieler Beteiligten übersteigt: „Wo stehen wir jetzt? Ehrlich gesagt habe ich mittlerweile den Überblick verloren“, gestand ein EU-Diplomat, der in die Verhandlungen direkt eingebunden war, kurz vor der Verkündung der Einigung.

Zur Erinnerung: Zweck der Bankenunion ist die Verhinderung von Finanz- und Schuldenkrisen wie in Irland, Spanien oder Zypern. Sie besteht aus einer Aufsicht, einer Einlagensicherung und dem bereits erwähnten Abwicklungsmechanismus. Doch je mehr man ins Detail geht, desto komplizierter wird die Angelegenheit. So gut wie nichts an der Bankenunion ist einfach – angefangen bei dem Geltungsbereich von Aufsicht und Mechanismus (wie viele Banken werden erfasst?), über die Abstimmungsmodalitäten in diversen Komitees (einfache, doppelte oder gewichtete Majorität?), bis hin zur Frage, wie viel Geld zu welchem Zeitpunkt zur Verfügung steht (ein gleitender, auf zehn Jahre ausgelegter und umgekehrt proportionaler Verteilungsschlüssel zwischen nationalen und gemeinschaftlichen Anteilen im Hilfsfonds soll Abhilfe schaffen). Dabei bietet der Mechanismus in seiner jetzigen Form keine Antwort auf die wohl brennendste Frage: Was passiert, wenn die neu geschaffene zentrale Bankaufsicht nächstes Jahr tiefe Löcher in den Bilanzen ihrer Schützlinge entdeckt?

Irrungen und Wirrungen. Nun ließe sich das Gezerre um die Bankenunion als krisenbedingter Betriebsunfall abtun – schließlich kämpfte die Eurozone noch vor Kurzem um ihr Überleben. Doch dieser Entstehungsprozess bietet zugleich auch einen kondensierten Überblick über die Mühen der europäischen Entscheidungsfindung im Allgemeinen. Wer die Irrungen und Wirrungen der vergangenen Monate Revue passieren lässt, kann fünf Faktoren erkennen, die dafür sorgen, dass Beschlüsse der EU so oft schwer zu verstehen und die Ergebnisse enttäuschend sind.

Faktor Nummer eins ist die chronische Zeitnot der EU-Institutionen. Die Arbeit an der Bankenunion glich allzu oft einer Operation am offenen Herzen: So wurden beispielsweise die Regeln über die Beteiligung von Eigentümern und Gläubigern einer Bank an den Kosten ihrer Abwicklung mehr oder weniger über Nacht geschrieben, als es Ende März 2013 darum ging, Zypern vor dem unmittelbaren Kollaps zu bewahren – die Regierung in Berlin stellte unmissverständlich klar, dass sie nicht bereit ist, russische Kontoinhaber auf Kosten deutscher Steuerzahler zu retten. Die unter extremer Zeitnot verhandelten Bedingungen sind nun als sogenannte „Haftungskaskade“ integraler Bestandteil der EU-Bankenabwicklung.

Apropos Berlin: Der zweite Grund dafür, dass die Bankenunion so kompliziert ist, ist, dass es um viel Geld geht – seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 flossen bereits eineinhalb Billionen Euro in die Stabilisierung des Finanzsystems. Die überschuldeten Krisenländer im Süden der Eurozone können die Kosten weiterer Hilfsprogramme für Banken nicht stemmen, ihre Gläubiger im Norden wollen es nicht – bzw. nur zu ihren Bedingungen.

Die Folge dieses Dilemmas war ein scholastisch anmutender Disput zwischen Brüssel und diversen EU-Hauptstädten über die Frage, ob Paragraf 114 oder Paragraf 352 der EU-Verträge als rechtliche Basis für die Bankenunion dienen soll – die EU-Kommission und das Gros der Eurozone favorisierte die erste, Deutschland die zweite Variante. Der Grund? Paragraf 114 regelt die Ausnahmen vom EU-Binnenmarkt und erfordert die einfache Mehrheit im Rat der EU. Paragraf 352 wiederum ist eine Sonderklausel für Fälle, die den rechtlichen Rahmen der bestehenden Verträge sprengen, erfordert aber die Einstimmigkeit im Rat – Berlin hätte also ein faktisches Vetorecht.

„Kompromiss vor Klarheit“. Die Möglichkeit, Einspruch einzulegen, ist die dritte Komplikation – die im vorliegenden Fall besonders wichtig war, ist doch die Bankenunion der größte Souveränitätstransfer seit der Einführung des Euro. Wenn das System nach einer zehnjährigen Übergangsfrist voll einsatzfähig ist, werden seine Mitglieder füreinander finanziell einstehen – zwar nur innerhalb eines eng gesteckten Rahmens, aber immerhin. Jede Regierung achtet folglich darauf, dass ihr nationaler Aktionsradius nicht übermäßig beschnitten wird. Dieses verständliche Interesse resultiert im kleinsten gemeinsamen Nenner auf europäischer Ebene. „Kompromiss kommt vor Klarheit“, erläutert Luuk van Middelaar, der Berater von Ratspräsident Herman van Rompuy, gegenüber der „Presse am Sonntag“. Anders formuliert: Eine Reform darf keine nationalen Verlierer produzieren. Dass die diversen Kuhhändel und Kompromisse für die Bürger nicht zu durchschauen sind, wird als Nebenwirkung in Kauf genommen.

Erschwert wird dieser Balanceakt durch Faktor Nummer vier: den Frontverlauf zwischen den EU-Institutionen – der EU-Kommission, die Gesetze vorschlägt, dem Europaparlament, das mitentscheidet, und dem Rat der EU-Mitglieder, in dem nationale Interessen artikuliert und abgewogen werden. Im Fall der Bankenunion wünscht sich das Parlament ganz eindeutig mehr europäische „Solidarität“, als es einem Teil der EU-Mitglieder lieb wäre.

Mujtaba Rahman, der in der Ideenschmiede Eurasia Group die Europaabteilung leitet, weist in dem Zusammenhang auf einen weiteren Aspekt hin: die persönlichen Ambitionen der Beteiligten – konkret der für Binnenmarkt und Währung zuständigen Kommissare Michel Barnier und Olli Rehn, die sich für die bevorstehenden Europawahlen und die Kür einer neuen EU-Kommission in Stellung bringen. Ein rascher Kompromiss, der keinem Beteiligten allzu sehr wehtut, könnte der Karriere behilflich sein, so das Kalkül laut Rahman.

Und rasch war der Kompromiss in der Tat geschlossen– zumindest für EU-Verhältnisse. Karel Lannoo vom Brüsseler Thinktank CEPS hält das Ergebnis zwar auch nur für mäßig befriedigend, weist aber zugleich darauf hin, dass die Entscheidung über den Bau der Bankenunion erst im Sommer 2012 gefällt wurde. Zumindest dieses Mal kreißte der europäische Berg besonders schnell.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

The Euro currency sign is seen in front of the European Central Bank headquarters in Frankfurt
Home

Bankenunion: Studie warnt vor "Ausbruch neuer Vertrauenskrise"

Der hohe Anteil von Problemkrediten bei einigen Banken im Süden Europas könnte das gesamte Finanzsystem destabilisieren, warnt das deutsche IW-Institut in seinem Bankenmonitor.
New Articles

EU-Friedhof für marode Banken

Mit einem neuen 55 Milliarden schweren Fonds sollen künftig Fälle wie die Hypo Alpe Adria in der EU abgewickelt werden. Statt Steuerzahler zu belasten, müssen die Banken selbst dafür aufkommen.
Leitartikel

Die Freude über die europäische Bankenunion hält sich in Grenzen

Endlich werden bei Bankenpleiten auch Aktionäre und Gläubiger zur Kasse gebeten. Doch der jetzige Kompromiss ist in der Praxis schwer umsetzbar.
GERMANY FINANCE ECB
International

Zu spät für die Hypo: EU einigt sich auf Bankenabwicklung

Steuerzahler sollen bei Bank-Pleiten weniger zur Kasse gebeten werden - stattdessen müssen Aktionäre und Gläubiger mehr bluten.
International

Wie die EU künftig mit maroden Banken umgehen will

Die Kernelemente der Einigung.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.