Pussy-Riot-Aktivistinnen kritisieren Putin scharf

Nadeschda Tolokonnikova nach ihrer Freilassung aus dem Straflager in Sibirien.
Nadeschda Tolokonnikova nach ihrer Freilassung aus dem Straflager in Sibirien.(c) REUTERS/Ilya Naymushin
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Nach Maria Alechina ist auch Nadeschda Tolokonnikowa aus dem Straflager entlassen worden. Alechina hätte die Amnestie abgelehnt, hätte sie die Wahl gehabt. Sie spricht von einem "PR-Trick" Putins.

Nach Michail Chodorkowski hat die russische Justiz am heutigen Montag auch die beiden Mitglieder der kremlkritischen Punk-Band Pussy Riot, Maria Alechina und Nadeschda Tolokonnikowa, freigelassen worden. Anders als Chodorkowski schlugen die Musikerinnen aber keine sanften Töne an. Aljochina sagte, sie hätte die Amnestie am liebsten abgelehnt. Tolokonnikowa bezeichnete Russland als "Strafkolonie".

Ungebrochen und doch etwas schmal im Gesicht tritt Nadeschda Tolokonnikowa von der Punkband Pussy Riot nach mehr als 20 Monaten Haft vor die Scheinwerfer der russischen Medien. Ja, sie wolle weiter politisch kämpfen in Russland - in Opposition zu Kremlchef Wladimir Putin, sagt die 24 Jahre alte Wortführerin der schrillen Band mit den Strickmasken. "Russland wurde nach dem Vorbild einer Strafkolonie errichtet", kritisierte sie. Ihr Ehemann Pjotr Wersilow hatte vor dem sibirischen Gefängnis auf die Freilassung seiner Frau gewartet.

Sie sei eine vom Teufel besessene Punkerin, meinte nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch die Kirche, gegen deren Macht in Russland sie protestiert hatte. "Die Wahrheit ist das Wichtigste für uns, mehr noch als die Freiheit", sagt die Künstlerin selbst. Als Vorbild nennt sie die deutsche Punk-Ikone Nina Hagen.

Rowdytum und religiöser Hass

Alechina und Tolokonnikowa hatten im Jahr 2012 mit ihrer Band in einer Kirche ein Protestlied gegen Präsident Wladimir Putin gesungen und wurden wegen Rowdytums aus religiösem Hass zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hätten im März 2014 entlassen werden sollen. Allerdings verabschiedete das Parlament in Moskau vergangene Woche ein Amnestiegesetz, unter das die Musikerinnen fielen. Ein drittes Mitglied der Gruppe, Jekaterina Samutsewitsch, war bereits im vergangenen Jahr freigekommen. Die 25-jährige Alechina bezeichnete ihre Freilassung als PR-Gag von Präsident Wladimir Putin vor den Olympischen Spielen in Sotschi im Februar. 

"Ich glaube nicht, dass es ein humanitärer Akt ist", sagte die in eine dicke grüne Gefängnisjacke gehüllte Alechina zu ihrer Freilassung. Aus Solidarität mit denen, die noch in den Gefängnissen säßen, hätte sie auf ihre Freilassung auch verzichtet, wenn es möglich gewesen wäre. "Aber das Gefängnis hat eine Weisung erhalten, deshalb bin ich hierher gebracht worden." Künftig wolle sie sich für die Rechte von Häftlingen und für die Einhaltung von Menschenrechten einsetzen, kündigte die 25-Jährige an: "Glauben Sie mir, ich habe vor nichts mehr Angst."

Alechina saß in Nischni Nowgorod rund 450 Kilometer östlich von Moskau im Gefängnis, die 24-jährige Tolokonnikowa war erst kürzlich in ein Straflager im 4400 Kilometer von Moskau entfernten Krasnojarsk in Ostsibirien verlegt worden.

Mehr als 1000 Häftlinge entlassen

Experten sehen die Amnestie zum 20. Jahrestag der russischen Verfassung als Versuch Putins, vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi Kritiker im Westen zu besänftigen. Es wird erwartet, dass die Amnestie auch verhindert, dass sich rund 30 wegen Rowdytums angeklagte Greenpeace-Aktivisten vor Gericht verantworten müssen. Sie hatten gegen Ölbohrungen in der Arktis demonstriert und sind gegen Kaution auf freiem Fuß. Menschenrechtlern zufolge dürften durch die Amnestie rund 1500 Häftlinge freikommen. Insgesamt sitzen fast 700.000 Russen in Gefängnissen.

Parallel zur Amnestie des Parlaments hatte Putin am Freitag den Regierungskritiker Chodorkowski begnadigt, der sich inzwischen in Deutschland aufhält. Der 50-Jährige hatte am Sonntag angekündigt, er werde nicht in die Politik gehen, sondern sich für die Freilassung politischer Gefangener einsetzen. Anders als die beiden Pussy-Riot-Musikerinnen hatte der frühere Eigner des Ölkonzerns Yukos, der zehn Jahre eingesperrt war, ein Gnadengesuch bei Putin eingereicht. Chodorkowski war auf Vermittlung des früheren deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher freigekommen.

Auf einen Blick

Kaum ein Richterspruch war so umstritten wie das Urteil gegen drei junge Frauen der kremlkritischen Punkband Pussy Riot. Die Aktivistinnen hatten am 21. Februar 2012 in der Moskauer Erlöserkathedrale, einem Heiligtum der russisch-orthodoxen Kirche, mit einem "Punkgebet" gegen die Wiederwahl von Präsident Wladimir Putin protestiert.

Ein Gericht verurteilte daraufhin zwei der Frauen zu je zwei Jahren Lagerhaft und ihre Mitstreiterin zu einer Bewährungsstrafe - wegen Rowdytums aus religiösem Hass.

Nachdem die heute 25 Jahre alte Aljochina und die 24-jährige Tolokonnikowa ihre Haftstrafe bis auf gut drei Monate verbüßt hatten, rügte das Oberste Gericht Russlands das Urteil wegen schwerer Verstöße. Weder das junge Alter noch weitere strafmildernde Gründe seien berücksichtigt worden. Die Frauen seien weder vorbestraft noch gewalttätig gewesen.

(APA/Reuters/AFP/dpa)

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