Erdoğans Kartenhaus bricht zusammen

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Korruption, Säuberungen und Demonstrationen. Ist Premierminister Recep Tayyip Erdoğan am Ende? Er selbst spricht von dunklen Kräften im In- und im Ausland.

Ankara/Wien. Recep Tayyip Erdoğan ist wieder auf Reisen – so wie im Juni zum Höhepunkt der Protestwelle im Gezi-Park. Am Montag ist er nach Pakistan abgeflogen. Fast scheint es, als flüchte er vor der Konfrontation, die ihn diesmal noch direkter trifft. Seine engsten Vertrauten sind in einen Korruptionsskandal verwickelt. Das Kartenhaus seiner Macht droht in sich zusammenzustürzen, seitdem ihm die mächtige Gülen-Bewegung des in die USA ausgewanderten moslemischen Predigers Fetullah Gülen den Krieg erklärt hat.

Erdoğan spricht von dunklen Kräften im In- und im Ausland. Doch selbst unabhängige Beobachter, die in keiner politischen Gruppe der Türkei verankert sind, können nicht mehr zwischen wahren Anschuldigungen und Verschwörungen unterscheiden. Nur eines ist sicher: Die aktuelle Situation ist für den türkischen Premierminister weit heikler als jene im Frühjahr, als sich moderate Kräfte in Ankara und Istanbul gegen ihn erhoben.

Einst hatten Gülen und Erdoğan gemeinsam gegen die kemalistische Elite gekämpft. Doch mit zunehmender Macht entfremdete sich der Regierungschef von seinem ehemaligen Verbündeten. Zum Bruch soll es gekommen sein, als Erdoğans AKP die Schließung von Privatschulen beschloss. Sie gelten als Vorhof von Gülens Einflusssphäre in der Türkei.

Seit der Giftschrank geöffnet ist und Gülen-nahe Medien fast jeden Tag das Umfeld des Premierministers mit Korruptionsanschuldigungen belasten, ist aus den Sticheleien ein offener Machtkampf geworden. Die Anschuldigungen gegen das Netzwerk des Regierungschefs wiegen schwer. Es geht um illegale Lieferungen in den Iran, um Bestechung, die Zusammenarbeit mit kriminellen Gruppen. Die Justizbehörde ermittelt gegen einen mächtigen Bauunternehmer. Der Chef der staatlichen Halkbank, Süleyman Aslan, wurde am Samstag unter dem Verdacht der Bestechung festgenommen. Laut Medienberichten fand die Polizei in Aslans Haus einen Schuhkarton mit 4,5 Millionen Dollar. Bisher wird gegen 24 Verdächtige ermittelt, darunter die Söhne von Innenminister Muarrem Güler und Wirtschaftsminister Zafer Çağlayan.

Mehrere Polizeichefs verhaftet

Die Korruptionsvorwürfe treffen Erdoğans engstes Umfeld. Das dürfte der Grund sein, warum der Langzeit-Regierungschef nicht staatsmännisch reagierte, sondern panische Gegenattacken einleitete. Statt sich den Vorwürfen zu stellen und die Aufklärung voranzutreiben, geht er gegen die Ermittler vor. Ende vergangener Woche leitete er eine Säuberungsaktion in Polizei und Justiz ein. Allein am Wochenende wurden 25 Polizeichefs suspendiert beziehungsweise festgenommen. Erdoğan verurteilte das Vorgehen von Justiz und Polizei als „Schmierenkampagne“. Der Zugang von Journalisten zu Informationen der behördlichen Ermittlungen wurde verboten. Am Sonntag kündigte der Premier an, mit Härte gegen jene vorzugehen, die diese Korruptionsvorwürfe zur Unterwanderung seiner Macht nutzten. Auch im Kreis ausländischer Botschafter ortet der taumelnde Regierungschef Gegner. Dem Vernehmen nach zielen seine Attacken gegen den US-Botschafter Francis Riciardone, der darauf gedrängt haben soll, dass die im Zentrum der Affäre stehende Halkbank von ihren zweifelhaften Geschäften im Iran Abstand nehmen soll. Der sich ausweitende Korruptionsskandal dominiert nicht nur die öffentliche Debatte, sondern hat bereits politische Auswirkungen. So hat Erdoğan die Annäherung an die kurdische Minderheit auf Eis gelegt. Seit dem Wochenende sind auch wieder regierungskritische Gruppen aktiv. Eine erste Demonstration fand am Sonntagabend in Istanbul statt, bei der lautstark der Rücktritt der Regierung gefordert wurde.

AUF EINEN BLICK

„Presse“-Video aus den PKK-Gebieten im Web:www.diepresse.com/pkkKorruptionsaffäre. Der türkische Premierminister, Recep Tayyip Erdoğan, ist mit einer Korruptionsaffäre konfrontiert, die sein engstes Umfeld trifft. Statt die Ermittlungen voranzutreiben, geht er gegen die Ermittler vor. Beobachter sehen dahinter den bisher heikelsten Machtkampf der AKP-Regierung mit der Gülen-Bewegung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2013)

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