"Tiefer Staat": Kritik an Erdogans Kabinettsumbau

Turkey´s Prime Minister Tayyip Erdogan arrives at a news conference in Ankara
Turkey´s Prime Minister Tayyip Erdogan arrives at a news conference in Ankara(c) REUTERS (UMIT BEKTAS)
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Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hatte die halbe Ministerriege ausgetauscht. Die Opposition spart am Donnerstag nicht mit Kritik.

Die türkische Opposition wirft Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor, mit dem Kabinettsumbau konspirative Ziele zu verfolgen. Erdogan wolle im Kampf um den Machterhalt eine Art Staat im Staate schaffen, sagte der Chef der größten Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, türkischen Medien zufolge am Donnerstag. Der Politiker sprach von einem "tiefen Staat" ("Derin Devlet"), was in der Türkei ein negatives Schlagwort für den Einfluss von Drahtziehern im Hintergrund ist. Unter dem Druck des Korruptionsskandals im Umfeld seines bisherigen Kabinetts hatte Erdogan insgesamt zehn Minister - und damit die Hälfte - ausgetauscht. Der zurückgetretene Umweltminister Erdogan Bayraktar forderte den Regierungschef selbst zum Rückzug auf.

Oppositionsführer Kilicdaroglu warf Erdogan vor, sich ein Kabinett aus gefügigen Ministern schaffen zu wollen. Diese seien Teil von Erdogans Machtstrukturen, mit denen er das Land ohne demokratische Kontrolle regieren wolle. Eine zentrale Rolle darin spiele der neu ernannte Innenminister Efkan Ala. Der frühere Gouverneur der Provinz Diyarbakir ist als einziger in Erdogans Kabinett kein Parlamentsabgeordneter und damit nicht direkt dem Wählerwillen verpflichtet. Politischen Beobachtern zufolge hatte sich Ala in seiner bisherigen Position als Regierungsstaatssekretär dafür eingesetzt, massiv gegen Anti-Erdogan-Proteste in diesem Sommer vorzugehen.

Bei seiner Amtseinführung deutete Ala am Donnerstag an, die Korruptionsermittlungen könnten aus dem Ausland gesteuert worden sein. Nachbarn der Türkei könnten eifersüchtig auf den Erfolg des Landes reagieren, sagte Ala. Die auch wirtschaftlich erstarkte Türkei strebt vor allem mit Blick auf den Nahen Osten eine zentrale Position in der internationalen Diplomatie an.

Als Innenminister folgt Ala auf Muammer Güler, dessen Sohn wegen Korruptionsvorwürfen im Gefängnis sitzt und der die Ermittlungen wie Erdogan als Schmutzkampagne gegen die Regierung kritisiert hat. In der Affäre wurden bereits 24 Menschen festgenommen, darunter der Chef der staatlichen Halkbank. Am Mittwoch legten neben Innenminister Güler auch Wirtschaftsminister Zafer Caglayan und Umweltminister Bayraktar ihre Ämter nieder. Die Söhne aller drei Ressortchefs sind ins Visier der Ermittler geraten, die den Ministern selbst aber nichts vorwerfen. Erdogan reagierte auf die Affäre mit der Entlassung von Polizeichefs wegen Amtsmissbrauchs.

Experten sehen in dem Skandal noch keine unmittelbare Bedrohung für die Regierung. Allerdings könnte vor der Kommunalwahl im März die Partei Erdogans an Zustimmung verlieren. Die Affäre wird aber zu einer immer größeren Herausforderung für den seit elf Jahren amtierenden Regierungschef, an dem noch im Sommer die Proteste gegen seinen von Kritikern als autoritär empfundenen Regierungsstil abgeprallt waren. Vor allem die Forderung aus den eigenen Reihen, auch Erdogan müsse den Hut nehmen, verschärfte die Lage.

Ex-Umweltminister Bayraktar sagte im Fernsehen: "Für das Wohl des Landes glaube ich, dass der Regierungschef gehen sollte." Erdogan reagierte zunächst nicht darauf, versprach aber, seine AK Partei werde Korruption nicht dulden. Unterdessen gab es neue Proteste in Ankara, Istanbul und Izmir.

Der Vorstoß der Behörden hat die politische Elite der Türkei aufgeschreckt und für Unruhe an den Finanzmärkten gesorgt. An der Börse ging es zuletzt mehr als vier Prozent bergab. Auch die Kabinettsumbildung konnte die Märkte nicht beruhigen. Die Landeswährung fiel am Donnerstag zeitweise auf ihren bisher tiefsten Stand, so dass für einen Dollar 2,1025 Lira gezahlt werden mussten. Am Mittag kostete ein Dollar noch 2,0970 Lira. Auch Staatsanleihen mussten Federn lassen, obwohl die Reaktionen durch den feiertagsbedingt ruhigen Handel an den internationalen Märkten eher noch gedämpft wurden.

Das Land ist stark vom Kapitalzufluss aus dem Ausland abhängig, obwohl die türkische Wirtschaft selbst während Erdogans dreier Amtszeiten massiv gewachsen ist. Der steigende Wohlstand vieler Türken hat den Verbrauch kräftig angekurbelt, und auch die Position des Landes auf den Exportmärkten hat sich verbessert. Erdogan hat den Einfluss des einst dominierenden Militärs zurückgedrängt. Seine Gegner werfen ihm vor, islamistische Ziele zu verfolgen.

(APA)

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