Mit einem Dekret wollte die Regierung offenkundig Korruptionsermittlungen gegen sie behindern. Dem schob die oberste Justizbehörde nun einen Riegel vor. Premier Erdoğan geht derweil auf Richter und Staatsanwälte los.
Wien/Ankara. Als der Staatsanwalt Muammer Akkaş am Donnerstag plötzlich von den Ermittlungen im aktuellen Korruptionsskandal abgezogen wurde, sagte er noch, er hoffe nur, dass die Justiz für ihre Unabhängigkeit auf die Barrikaden gehe. Genau das ist am Freitag passiert: Der sogenannte Staatsrat, die oberste Justizbehörde, hat ein Dekret blockiert, mit dem die Regierung von Premier Recep Tayyip Erdoğan, die von dem Skandal betroffen ist, die Ermittlungen behindern wollte.
Mit dem Dekret wären Polizisten verpflichtet gewesen, ihre Vorgesetzten beziehungsweise übergeordneten Dienststellen zu informieren, bevor sie Aufträge der Staatsanwaltschaft ausführen. Wie die einst Erdoğan-freundliche, jetzt dem Premier kritisch gegenüberstehende Zeitung „Zaman“ süffisant anmerkte, hätte also die Polizei künftig den Innenminister warnen müssen, dass sie gleich seinen Sohn festnehmen werde.
Mit diesem Paukenschlag hatte die Affäre eine Woche vor Weihnachten begonnen: Bei einer Großrazzia wurden unter anderem die Söhne des Innen-, des Wirtschafts- und des Umweltministers festgenommen (Letzterer nur vorübergehend), dazu der Chef der staatlichen Halkbank. Neben Schmiergeldzahlungen bei Bauaufträgen geht es vor allem um illegale, also von den Sanktionen verbotene Geschäfte mit dem Iran.
Den nächsten Eklat hatte Umweltminister Bayraktar ausgelöst, der zwar zurücktrat, aber dem Regierungschef nahelegte, dasselbe zu tun, da er immerhin einen Großteil der fraglichen Bauaufträge selbst abgesegnet habe.
Armee: Kein Putsch geplant
Erdoğan trat die Flucht nach vorn an und tauschte in der Nacht auf Donnerstag handstreichartig die Hälfte seiner Regierung aus, darunter auch Minister die – noch – nicht ins Zwielicht geraten sind. Der neue Justizminister Bekir Bozdağ nahm den Fehdehandschuh der Justiz auf: Am Donnerstag hatte der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte in einem Statement gefordert, dass alle staatlichen Institutionen und Amtsträger die Gleichheit vor dem Gesetz achten müssten. Die Untersuchung illegaler Aktivitäten von Regierenden sei essenziell für Demokratie und Rechtsstaat, das Dekret der Regierung verletzte die Verfassung.
Diese Aussage hatte es ebenso in sich wie Bozdağs Replik: Der Rat, der im Übrigen zu einem solchen Statement gar nicht befugt sei, habe die Unabhängigkeit der Justiz angegriffen, meinte der Minister. Sein Chef Erdoğan legte noch nach und meinte, er würde den Rat der Richter und Staatsanwälte rechtlich belangen, wenn er die Befugnis hätte, denn der Rat habe „ein Verbrechen begangen“.
Wie tief die Regierung in die Krise geschlittert ist, zeigt sich daran, dass sich die Armee bemüßigt fühlte, Putschgerüchte zu dementieren. Man wolle sich nicht in die Politik einmischen. Zuletzt hatte die Armee 1997 mit einem Memorandum den islamistischen Regierungschef und Erdoğan-Mentor Necmettin Erbakan aus dem Amt getrieben. Seither hat die Armee aber merklich an Einfluss verloren.
Hoffnungsträger Gül
Um Erdoğan wird es derweil zusehends einsam: Am Freitag traten drei Abgeordnete, darunter der frühere Kulturminister Ertogrul Günay, aus der regierenden AK-Partei aus. Die Partei werde von „Arroganz“ geführt. Und auf unterstützende Worte von Parteifreund und Staatspräsident Abdullah Gül wartet der Premier bisher vergeblich. Im Gegenteil: Wenn es Korruption gebe, dürfe diese nicht vertuscht werden, hatte Gül gemeint. Der als „sauber“ geltende Staatschef ist für viele in der Partei gerade in der derzeitigen Situation ein Hoffnungsträger. (hd/ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2013)